Vom Schloss in die Stadt - auf diesem Weg kam seit dem 12. Mai 1799 wieder protestantisches Leben in die bayerische Landeshauptstadt: Die neue Kurfürstin und spätere Königin Caroline (1776-1841) hatte aus Baden ihren evangelischen Glauben mitgebracht - und den Kabinettsprediger Ludwig Friedrich Schmidt (1764-1857). Der hielt am 2. Sonntag nach Trinitatis im "Grünen Saal" von Schloss Nymphenburg den ersten evangelischen Gottesdienst in München seit der Reformationszeit.

Kaum ein Jahr später hatte man in der Münchner Residenz schon eine eigene Hofkirche, und aus den Hofgottesdiensten wurden bald halb öffentliche Gottesdienste für die wachsende evangelische Gemeinde in der bayerischen Hauptstadt.

Warum die erste Matthäuskirche an der Sonnenstraße gebaut wurde

1819 waren bereits 3.000 Münchner evangelisch, bis 1826 hatte sich die "Seelenzahl" erneut verdoppelt. 1806 hatte der soeben mit Napoleons Hilfe zum König avancierte Max I. Joseph Münchens Protestanten eine eigene Pfarrei bewilligt. Weil es auf Dauer nicht bei dem Provisorium mit Gottesdienst-Doppelschichten in der trotz ihrer 800 Plätze viel zu kleinen Hofkirche bleiben konnte, hatte der tolerante und protestantenfreundliche Max der neuen Gemeinde die Salvatorkirche gleich mit vermacht. Die ehemalige Friedhofskirche des Münchner Doms war 1803 säkularisiert worden und diente seither als Wagenremise und Salpeterdepot.

Schnell schmiedeten die Münchner Protestanten Neubaupläne, aber es fehlte auch ein geeigneter Bauplatz. Leo von Klenze lancierte Pläne zu einem gewagten Rundbau in der Nähe des Odeonsplatzes. Doch dem evangelischen Dekanat waren der Architekt und seine Pläne zu teuer. Außerdem fehlte ihnen der Kirchturm. Auch König Ludwig I. war von einer protestantischen Kirche in so prominenter Lage nicht begeistert.

Nach mehreren Jahren fruchtloser Planungen erhielt im August 1826 überraschend der königliche Oberbaurat Johann Nepomuk Pertsch (1784-1835) den Zuschlag. Dessen erster Entwurf war mit seinem italienischen Campanile und der klaren Fassade auffällig der überarbeiteten Klenze-Kirche von 1822 gefolgt, die dieser auf Wunsch der Kirchenleitung mit einem reichlich langweiligen Kirchturm versehen hatte.

Grundsteinlegung für Matthäuskirche 1827

Dem König, der nicht einen einzigen Kreuzer zuschoss, kam es sehr entgegen, dass sich die Protestanten nur den billigsten Bauplatz in der Sonnenstraße südlich des Karlsplatzes leisten konnten, also in sehr viel schlechterer Lage. Gebaut wurde schließlich ein Rundbau mit Langhausfassade und Campanile. Am 28. Juli 1827 war Grundsteinlegung.

"Gegenwärtig, zu Ende des Jahres 1830, steht das Außere mit dem Thurme, großartig, doch bescheiden, beynahe ganz vollendet da. Das Innere wird durch eine Plafond von Cornelius Erfindung verherrlicht werden. Die Anzahl der Münchner Pfarrgemeinde übersteigt 8000, die protestantische Bevölkerung des Königreichs beläuft sich auf eine Million hundert und fünfzigtausend Seelen"

notierte Karl August Lebschée in seiner 1830 erschienenen "Malerischen Topographie des Königreichs Bayern", einer Art bebildertem Reiseführer durch das junge Königreich und seine Residenzstadt.

Als die Pertsch-Kirche fertig war, lagen die Kosten mit über 240.000 Gulden im Bereich der Klenze-Kirche, die man als zu teuer abgelehnt hatte. Für Pfarr- und Schulhaus reichten nun die Mittel nicht mehr.

Kritik an Architektur der Pertsch-Kirche

War es der architektonische Kompromiss-Charakter, der die neue Kirche bei den mit immer neuen Bauten von außergewöhnlicher Klasse verwöhnten Münchnern durchfallen ließ? Von nur "geringem Anklang" und "allgemeinem Missfallen" berichten die Quellen.

Münchens Protestanten waren trotzdem stolz. Die evangelische Königin Therese hatte kostbare Samtparamente gespendet und Königinmutter Karoline zwei große silberne Leuchter für den Altar. Nach sechs Jahren Bauzeit legte man die Einweihung auf den 25. August 1833 fest - zu Ehren des Königs, der an diesem Tag Geburts- und Namenstag feierte. Ludwig I. blieb der Einweihung freilich trotzdem fern, und auch Königin Therese weilte in Nürnberg. Nur die Königinmutter Karoline, mit der vor über 34 Jahren das evangelische Gemeindeleben in München angefangen hatte, sie kam.

Nationalsozialisten reißen Matthäuskirche 1938 ab

105 Jahre später kamen Hitlers Abbruch-Kommandos. Das Ende begann am Donnerstagabend: NSDAP-Gauleiter Adolf Wagner ließ am 9. Juni 1938 den St.-Matthäus-Pfarrer Friedrich Loy ins Innenministerium zitieren, wo diesem eröffnet wurde: "Die Matthäuskirche wird abgebrochen, Zeit um Trinitatis, macht kein Geschrei." Es blieben noch drei Tage.

Am Morgen war mit dem Abbruch der Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße begonnen worden. Die Stadtplaner Hitler und Wagner machten ernst. In St. Matthäus und im Landeskirchenrat setzten hektische Beratungen ein, in die am Freitagabend die Nachricht platzte, eine Baufirma sei schon beauftragt, der Abbruch beginne am Montag, 13. Juni.

Emotionaler Abschiedsgottesdienst mit Bischof Meiser

Letzte Verhandlungsversuche von Landesbischof Hans Meiser am Samstag scheitern. Als Ersatz für ihre Kirche erhält die Matthäusgemeinde den "Weißen Saal" des Münchner Polizeipräsidiums in der ehemaligen Augustinerkirche zugesagt. Weil die Augustinerkirche im Zweiten Weltkrieg durch Luftangriffe schwer beschädigt wurde, lehnte die bayerische Landeskirche in der ersten Nachkriegszeit das Angebot des bayerischen Staates ab, die Ruine als Kirche wieder zu übernehmen. Einige Münchner Protestanten heute meinen: eine Fehlentscheidung.

Am Sonntagabend, 12. Juni, findet ein Abschiedsgottesdienst von der Kirche für die Münchner Gesamtgemeinde statt. Die Predigt hält Landesbischof Meiser. Er sagt: "Der Zwang der Verhältnisse hat alles noch so feste Wollen zunichtegemacht."

Pfarrer Friedrich Grießbach war in seiner Ansprache etwas deutlicher. Er sagt:

"Da, wo Macht ist und Glanz und Erfolg und Ruhm und Beifall der Masse, muss noch lange nicht Gott sein. Auch das Gottwidrige, auch das Böse hat seine Größe, seinen Erfolg."

Am Montagabend nahm dann die Matthäus-Gemeinde Abschied. Schon lange vor dem Gottesdienst füllte eine "dicht gedrängte Menge das weite Rund der Kirche bis auf den letzten Platz", berichtete das Münchner Gemeindeblatt. Viele Menschen weinten.

Gemeindepfarrer Friedrich Loy sprach von einem wahr gewordenen Albtraum, aus dem es kein Erwachen gebe: "Was diese furchtbare Wirklichkeit für uns bedeutet, das ist uns gestern Abend eindringlich gesagt worden."

Nach dem Segen sprach Kreisdekan Oskar Daumiller bewegende Abschiedsworte von der Kirche:

"Ich nehme die Bibel von diesem Altar, aber Gottes Wort soll in unseren Herzen lebendig bleiben. Nehmt die Gefäße, aber aus Christi Gemeinschaft soll uns niemand lösen. Nun löschen wir die Kerzen. Aber er selbst, das Licht der Welt, wird uns in alle Ewigkeit leuchten."

Zum letzten Mal erklang die Orgel mit "Unseren Ausgang segne Gott", aber viele blieben und sangen fast bis Mitternacht weiter: Lutherisch-Trotziges wie "Ein' feste Burg", während draußen schon am Gerüst für den Abbruch gehämmert wurde.

Parkplatz statt Kirche

Es half nichts. Nur drei Wochen später befand sich an der Stelle in der Sonnenstraße, wo Münchens erste protestantische Kirche gestanden hatte, ein Parkplatz.

Kurzbeschreibung Matthäuskirche München

Die Kirche, die Hitler im Weg stand: Mitten in der Münchner Sonnenstraße, zwischen Schwanthaler- und Herzogspitalstraße, stand die erste protestantische Kirche Münchens. Lange hieß sie einfach so: "Protestantische Kirche" - im Volksmund nach ihrer Lage auch "Stachuskirche". Erst mit dem Bau von St. Markus 1877 wurde aus ihr endgültig "St. Matthäus".

1801 war mit dem Weinhändler Johann Balthasar Michel erstmals seit der Reformation ein Protestant Münchener Bürger geworden. Danach hatte es über 30 Jahre gedauert, bis es der rasant wachsenden evangelischen Gemeinde nach einer schwierigen Planungsphase gelang, eine eigene Kirche fertigzustellen. Ludwig I. blieb der Einweihung fern, obwohl die Gemeinde sie ihm zu Ehren auf den 25. August 1833 gelegt hatte, den Geburts- und Namenstag des Königs.

Keine 105 Jahre später befahl Adolf Hitler persönlich den Abriss des von Johann Nepomuk Pertsch entworfenen Gebäudes, das angeblich nationalsozialistische Aufmarsch- und U-Bahn-Pläne störte. Am Abend des 13. Juni 1938 fand ein bewegender Abschiedsgottesdienst statt. Dann wurde gesprengt.