Preisverleihung bei der Berlinale am Samstag. Auf der Bühne stehen ein jüdischer Israeli und ein Palästinenser. Sie haben zusammen einen Dokumentarfilm gedreht, "No other land", der mit einem Bären ausgezeichnet wurde.

Der Israeli Yuval Abraham nutzte seine Dankesrede, um die Politik seiner Regierung zu kritisieren. Er erklärte, dass er und sein Kollege Basel Adra nur wenige Minuten voneinander entfernt wohnen, aber nicht die gleichen Rechte genießen. So könne er ihn, Basel, im besetzten Westjordanland besuchen, umgekehrt sei dies nicht möglich. Beide sprachen sich für einen sofortigen Waffenstillstand aus und forderten die deutsche Regierung auf, die Waffenlieferungen an die israelische Regierung einzustellen.

Die Rede von Yuval Abraham bei der Berlinale

Dieser Moment war eine Chance für Deutschland, genauer: für den deutschen Diskurs. Zwei unmittelbar Betroffene sprachen gemeinsam auf einer großen internationalen Bühne und boten eine kritische und differenzierte Sicht auf den so genannten Nahostkonflikt. Man muss die Sicht der beiden nicht teilen, natürlich gibt es auch andere Perspektiven und Einschätzungen. Aber man muss sie zumindest aushalten.

Deutsche Debatte über Nahost: Unerträglich

Doch genau das kann oder will ein erheblicher Teil der deutschen Öffentlichkeit offenbar nicht. Es kam, wie es kommen musste: In vielen deutschen Medien wurde der Auftritt skandalisiert, sogar von Antisemitismus war die Rede. Noch einmal zur Verdeutlichung: Nichtjüdische Deutsche werfen einem jüdischen Israeli Judenhass vor. Absurder geht es nicht.

Dass der deutsche Nahost-Diskurs unerträglich ist, habe ich bereits vor einigen Monaten in einem Kommentar dargelegt. Die Berlinale-Debatte ist ein weiterer Beleg dafür. Statt den Betroffenen zuzuhören, wollen wir Deutschen die Menschen in Israel und Palästina in Schubladen stecken.

Und da gibt es eigentlich nur zwei: "Pro-Israel", also die bedingungslose Unterstützung einer Regierung, der auch Rechtsextreme, Rassisten und Faschisten angehören. Und "pro-palästinensisch", was mit Terror, Hamas und Antisemitismus gleichgesetzt wird. Für Zwischentöne ist da kein Platz, denn sie stören nur das mühsam aufgebaute Schwarz-Weiß-Bild.

Verpasste Chance auf Dialog

Tagesspiegel-Redakteur Paul Starzmann bringt die Absurdität der Debatte pointiert auf den Punkt. Auf Twitter schreibt er:

"Für mich ist der Peak der deutschen Berlinale-"Debatte" erst erreicht, wenn sich Hubert Aiwanger zu Wort gemeldet hat, um dem israelischen Filmemacher Yuval Abraham "importierten Antisemitismus" vorzuwerfen."

Der Auftritt der beiden Filmemacher hätte ein Wendepunkt im deutschen Diskurs über Israel und Palästina sein können: Weg von dualistischen Sichtweisen, in denen es immer nur um Gut gegen Böse geht, hin zu einem ehrlichen, realistischen Blick, der mehrere Perspektiven einbezieht. Zu einem Austausch auf Augenhöhe, bei dem nicht jeder allem zustimmen muss, aber jede Stimme Gehör findet (zumindest jede, die keinen Völkermord fordert, an wem auch immer).

Stattdessen wird nun versucht, unliebsame Stimmen durch Skandalisierung zum Schweigen zu bringen. Nicht zu Unrecht wurde dieses Vorgehen bereits mit der Hexenjagd der McCarthy-Ära in den USA verglichen. Andersdenkende zum Schweigen zu bringen, ist jedoch weder demokratisch noch ein Zeichen von Stärke oder Souveränität. Es ist nichts anderes als der Wunsch nach Unterordnung und letztlich Gleichschaltung. Also ein sehr deutscher Wunsch.

Es gibt keine Alternative zum Dialog. Nur durch Austausch entsteht Fortschritt, nur durch die Einbeziehung möglichst vieler Perspektiven bewegt sich etwas. Das Gegenteil davon ist derzeit in Deutschland zu beobachten. 

Ergänzung vom 28. Februar 2024:

Inzwischen hat der Fall weitere dramatische Wendungen genommen. So griff ein israelischer Fernsehsender die Vorwürfe gegen Yuval Abraham auf. Wohl als Reaktion darauf wurde der Regisseur von Rechtsradikalen mit dem Tode bedroht, vor seinem Haus stand ein Mob, wie er selbst berichtet. 

Angesichts dessen ist festzuhalten: Die inhaltlich nicht oder kaum begründeten Antisemitismusvorwürfe deutscher Medien und Politiker*innen gegen einen jüdischen Israeli haben in der Folge dessen Leben und Sicherheit in Gefahr gebracht. Lassen wir das so stehen.

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