Als mein Mann nach der Geburt unseres Kindes in bezahlter Elternzeit zu Hause war, sagte mein Papa irgendwann mit Bedauern in der Stimme zu mir, dass er auch so gerne mehr Zeit mit mir und meinen Geschwistern verbracht hätte. Leider habe es diese Möglichkeit in den 90ern nicht gegeben.

"Zum Glück ist das inzwischen anders", dachte ich.

Es muss das Stillen gewesen sein, das mir zu diesem Zeitpunkt das Gehirn vernebelte. Inzwischen kenne ich die Realität.

Bezahlte Elternzeit für Väter

Obwohl Väter das Recht haben, bezahlte Elternzeit zu nehmen, geht der größere Teil diesen Schritt nicht. Nur 43 Prozent nutzen das Eltergeld, mehr als die Hälfte der Männer entscheidet sich ganz gegen das Elterngeld.

Laut einer Studie von 2022 ist der Hauptgrund dafür, "dass die Einkommensverluste zu hoch erschienen". Ja, die Finanzen sind sicher das größte Thema und ein riesiger Pain. Gleichzeitig werfe ich gut verdienenden Familien doch die Frage der Priorisierung an den Kopf: Was ist mir die Zeit mit meinem Baby wert? Mehr als das Haus, Auto und Geld auf dem Konto, oder doch eher weniger?

Als Grund Nummer zwei wurde angegeben: "Weil ich nicht aus dem Beruf aussteigen wollte". Ich lasse das hier mal im Namen aller Frauen, die wegen ihres Kindes aus dem Beruf aussteigen müssen, fassungslos so stehen. Grund Nummer drei: "Weil ich berufliche Nachteile befürchtet habe". Das Schlimme an dieser Argumentation ist: Es stimmt. Männer haben Angst vor dem beruflichen Abstieg nach der Elternzeit, weil sie ihn seit Jahrzehnten bei Frauen beobachten.

Das Baby gehört doch eh zur Mutter?

Hielt sich lange der Mythos, dass kleine Kinder wegen des Mutterinstinkts sowieso bei Mama am besten aufgehoben seien, ist inzwischen wissenschaftlich belegt, dass es den MUTTERinstinkt an sich nicht gibt. Für die tiefe Gefühlsbindung zu einem Kind ist vorrangig der enge Kontakt entscheidend, was im Grunde eine gute Nachricht für alle Väter ist:

Ihr könnt eurem Sohn oder eurer Tochter genauso nah sein wie eure Frau – falls ihr "nur" genug Zeit mit ihm oder ihr verbringt.

Zum 1. April dieses Jahres passte die Ampel-Regierung die Regeln für das Beziehen von Elterngeld als Ersatzleistung für das ausfallende Gehalt, wenn man sich um seine Kinder kümmert, an. Lange stritt sich insbesondere Familienministerin Lisa Paus mit Vertretern der FDP um die Details. Was dabei herausgekommen ist, soll die Gleichstellung fördern und mehr Väter dazu bringen, zu Hause Verantwortung zu übernehmen.

Meine düstere Theorie: Das ist nicht nur ein absolut lachhafter Versuch, sondern wird sogar eher das Gegenteil bewirken.

Neue Regeln für das Elterngeld in Deutschland

Kurz zum Stand vor dem 1. April: Mehr als die Hälfte der Väter in Deutschland nutzte das Elterngeld bislang wie gesagt überhaupt nicht. Von den restlichen 43 Prozent der Männer nahmen außerdem nur zehn Prozent länger als zwei Monate in Anspruch. Zehn Prozent! Woran liegt das? Hauptsächlich an den gesetzlichen Vorgaben des Staates, der Eltern bislang 14 Monate Elterngeld bezahlte, sofern einer von beiden mindestens zwei Monate davon übernahm. In der Praxis sieht das dann in meinem Umfeld meist so aus, dass die Väter einen Monat nach der Geburt freinehmen und einen weiteren im Laufe des ersten Lebensjahres des Kindes – in dem dann häufig ausgiebig Familienurlaub gemacht wird. Ich stelle die These auf, dass das nicht reicht, um die oben beschriebene enge Gefühlsbindung aufzubauen.

Neu ist jetzt, dass die zwei Vätermonate nicht mehr beide parallel zur Elternzeit der Mutter genommen werden dürfen. Heißt: die Väter müssen künftig mindestens einen Monat alleine zu Hause bestreiten, wenn die Familie 14 Monate Elterngeld bezahlt bekommen möchte (das Elterngeld beträgt übrigens 65 Prozent des Netto-Einkommens vor der Geburt des Kindes). Abgesehen davon gilt nun die Einkommensgrenze von 200.000 Euro, ab der Eltern keinen Anspruch mehr auf Elterngeld haben. Details zu den Regeln könnt ihr hier nachlesen.

Es sind viele Gedanken, die ich dazu habe und die wenigsten davon sind schmeichelhaft für das Familienministerium:

  • Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es noch etwa 300 Jahre dauert, bis die Gleichstellung von Frauen und Männern erreicht ist, wenn wir mit dem gleichen Tempo wie bisher (wobei der Begriff Tempo hier meiner Meinung nach komplett irreführend ist) weitermachen. Kann sich grundlegend etwas verändern oder gar beschleunigen, wenn wir beim Elterngeld mit einem einzigen Monat herumexperimentieren? Garantiert nicht.
  • Wenn sowieso nur 43 Prozent der Väter Elterngeld beziehen, das ganze Modell also offensichtlich unattraktiv und/oder nicht praktikabel ist, werden die restlichen 57 Prozent jetzt ab sofort sagen: "Geil, dank der Neuerungen darf ich die Arbeit jetzt sogar einen der zwei Monate ganz alleine machen, auf geht’s!"? Garantiert nicht.
  • Das neue Elterngeld-Modell geht auf das Hauptargument der Väter gegen Elternzeit (zu hohe Einkommensverluste) überhaupt nicht ein. Das Elterngeld ist seit seiner Einführung 2007 auf 1800 Euro gedeckelt und wurde trotz Inflation nie erhöht, verliert also de facto an Wert. Verbesserung? Garantiert nicht.
  • Das Wochenbett, also die Zeit, die der Körper einer Frau durchschnittlich braucht, um sich von einer Geburt zu erholen, dauert acht Wochen. Es ist eine furchtbar anstrengende Zeit, in der Mütter das "-bett" wörtlich nehmen und liegen sollten. Doch wie soll das gehen, wenn der Vater nach spätestens einem Monat wieder arbeitet?

Väter sollen also künftig ermutigt werden, sich mindestens einen Monat lang alleine um ihr Kind zu kümmern. Man muss weder ein Genie noch Mutter sein, um vorauszusagen, dass genau das Gegenteil eintreten wird:

In Zukunft werden noch weniger Väter noch weniger Elternzeit beziehen. Statt der beiden gemeinsamen wird künftig maximal der erste Monat genommen werden – und die Mütter damit noch schneller und noch länger allein für das gemeinsame Kind zuständig sein.

Ich finde es tragisch, dass Väter anscheinend überhaupt dazu ermutigt werden müssen, Zeit mit ihren eigenen Kindern zu verbringen. Und traurig, dass ein Großteil der Väter in Deutschland Vollzeit arbeiten muss und somit den Großteil des Lebens seiner Kinder verpasst. Ja, sich von 6 Uhr (oder auch gerne mal 5 Uhr) morgens bis grob 20 Uhr abends um ein Baby oder Kleinkind zu kümmern – plus Nachtschicht und ohne Urlaub selbstverständlich – ist sauhart. Aber eben auch sauschön. Es ist eine Erfahrung, die man nur versteht, wenn man sie selbst erlebt und eine Verantwortung, die für eine Person, oder eher eine Mutter, zu viel ist und geteilt werden müsste.

Echte Lösungen

Möglichkeiten, diese staatlich zu forcieren, hätte es gegeben. In einer Studie des IW Köln heißt es: Sinnvoll sei vor allem, mit dem Elterngeld finanzielle Anreize zu setzen, damit Eltern sich die Monate fair aufteilen. Beide Eltern sollten für sieben Monate Anspruch auf 80 Prozent des vorherigen Nettolohns haben, danach nur noch auf 50 Prozent. Das gemeinsame Elterngeld wäre damit am höchsten, wenn beide Eltern es jeweils sieben Monate in Anspruch nehmen. Die Zahl der gemeinsamen Monate soll zudem nach Vorstellung der Forschenden auf drei Monate erhöht werden – also das genaue Gegenteil der tatsächlichen Reform.

Insgesamt sei es zudem sinnvoller, das Elterngeld zu erhöhen, damit auch gutverdienende Väter die Leistung attraktiv finden und in Anspruch nehmen. 

Was soll man dazu noch sagen? Chance vertan, Ziel verfehlt. Auf Kosten der Väter, auf Kosten der Mütter und vor allem auf Kosten der Kinder.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden

Rüdiger Schaar… am So, 14.04.2024 - 12:10 Link

Der Kommentar trifft es auf den Punkt.
Meine Tochter und ihre Familie ist derzeit in genau dieser Situation.
Ich habe vor über 30 Jahren dreieinhalb Jahre Elternzeit gemacht, unbezahlt natürlich. Ich war damals ein Exot und wurde von vielen etwas schräg angesehen. Egal:
Es waren mit die wertvollsten Jahre meines Lebens. Die Bindung, die sich in dieser Zeit entwickelt hat, hält ein Leben lang.