Aufschreiben, was belastet. Diese alte Methode, um den Kopf freizubekommen, kann auch in der Therapie genutzt werden. "Ich bin ein großer Freund davon, Gedanken zu ordnen", sagt Frank-Gerald Pajonk vom Zentrum Isartal am Kloster Schäftlarn in Bayern.

Pajonk ist Ärztlicher Direktor der psychiatrisch-psychotherapeutischen und psychosomatischen Fachklinik der Oberbergkliniken und setzt diese Therapieform seit etwa 30 Jahren ein:

"Es ist - auch neurobiologisch - ein Unterschied, ob ein Gedanke gedacht, gesprochen oder geschrieben wird."

Bibliotherapie und Poesietherapie heißen die Therapieformen, bei denen es um das eigene Schreiben und das Lesen von Texten und Literatur geht. Sie werden in Pajonks Klinik im Rahmen der Verhaltenstherapie eingesetzt und zählen zu den kreativen Therapieformen ähnlich der Kunst-, Musik oder Tanztherapie. Ziel ist es, durch Worte eine kognitive oder emotionale Veränderung zu erreichen.

Schon die alten Griechen …

Das Wort als Schlüssel zum Unbewussten kannten schon die alten Griechen. Der Arzt Hippokrates lehrte seine Schüler, vor dem Messer und der Arznei das Therapeutikum des Wortes zu nutzen. In den USA setzten seit dem 19. Jahrhundert Therapeuten Literatur bei psychisch Kranken ein, wie das Deutsche Ärzteblatt berichtete.

Die Therapieform der Schreibtherapie sei allerdings nicht für jeden Patienten geeignet, räumt Pajonk ein. Schwarz auf weiß festzuhalten, was ist oder war, könne schwerfallen, gerade nach traumatischen Erlebnissen. "Was man aufschreibt, steht dann da", sagte der Professor. Dem Problem auszuweichen, sei nun nicht mehr möglich. Manchmal verberge sich auch eine schwere Krankheit hinter der Schreibhemmung.

Andere Patienten wiederum, die gerne dabei seien, erlebten "Trost und Vergewisserung", betont der Psychiater. Ein wiederkehrendes Thema etwa sei Ratlosigkeit im Umgang mit eigenen und den Bedürfnissen anderer, weiß Pajonk. Durch Sprache erführen diese verunsicherten Menschen, dass es Worte für das eigene Problem gebe.

Gesetzliche Krankenkassen zahlen nicht

Bibliotherapie und Poesietherapie sind in Deutschland keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen. Die Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer, Andrea Benecke, beschreibt sie auf epd-Anfrage als "Baustein in der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen". Bibliotherapie werde zur Förderung der Selbsthilfe der Patientinnen und Patienten genutzt und habe sich bei leichten psychischen Erkrankungen bewährt.

Auch Privatpraxen bieten dies als Beratungsleistung an. Ramona Ambs arbeitet als Poesietherapeutin in Heidelberg. "Die Leute schreiben die Texte zu Hause und bringen sie dann in die Stunde mit. Wir sprechen dann über die Texte. Über den Umweg über den Text arbeiten wir am Problem, das die Leute haben", erklärt die Heilpraktikerin für Psychotherapie.

Der Vorteil des Schreibens sei, dass die Leute zu Hause allein seien mit ihrem Text und so viel offener agieren könnten, als wenn sie einem Therapeuten gegenübersäßen und sprechen müssten, sagt Ambs.

"Bei einer Depression etwa kann man versuchen, das Problem auszulagern, das heißt, man gibt der Depression einen Namen", beschreibt sie.

"Dann schreibt man ihr einen Brief, mal, als wäre sie eine Feindin, mal, als wäre sie eine Freundin. Dabei passiert sehr viel."

Die klassische Methode etwa nach einem Autounfall sei, das traumatische Erlebnis in der "Ich-Perspektive" noch einmal durchzuleben. In den weiteren Sitzungen werde der Text zunächst aus Sicht eines Außenstehenden, dann in der Vergangenheit und schließlich aus der Vogelperspektive erzählt, schildert Ambs. Das Vorgehen baue Distanz auf und biete Lösungsansätze.

Schreiben und Lesen gehören oft zusammen. Auch über Literatur könne man sich schrittweise einem Problem nähern, sagt der Ärztliche Direktor Pajonks. Sie lege den Gedanken nahe: "Wenn andere Worte gefunden haben, dann kann ich es auch." Märchen oder Gedichte böten hier viele Beispiele. "Das ist ein großer Schatz", ist Pajonk überzeugt.

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