Nie wieder! So lautet der Weckruf der Erinnerungsarbeit. Bald wird die Formel wieder erschallen, wenn die Parlamente des Landes rund um den 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag, bei ihren Gedenkstunden an die Opfer des organisierten Massenmords der Nazis erinnern. Diese Mahn-Rituale sind wichtig, weil sie als Zäsur im Politikbetrieb deutlich machen, dass es über den nicklig diskutierten Detailfragen eine Klammer gibt, die eine demokratische Gesellschaft zusammenhält: Menschenwürde. Grundrechte. Freiheit.

Doch das "Nie wieder!" hat sich mit den Jahren abgenutzt. Durchschnittlich 20 Prozent der deutschen Wählerinnen und Wähler finden es ganz okay, für ein paar Heilsversprechen auch ein bisschen Rechtsextremismus in Kauf zu nehmen. Angesichts der jüngst publik gewordenen Geheimtreffen von Rechtsextremen, Identitären, Werteunierten und AfD-Führern kann einem schlecht werden.

Als "Remigration" getarnte Vertreibungspläne für Menschen mit Migrationshintergrund und Höcke-Träume von "wohltemperierter Grausamkeit" gegen Unerwünschte – wer bei solchem Nazi-Jargon nicht an 1933 denkt, muss die Scheuklappen schon ganz eng haben. Der Aufstieg von Hitlers NSDAP hat gezeigt, dass aus Unrecht ganz schnell Recht werden kann, wenn braune Parlamentsmehrheiten die Gesetze ändern.

Menschenwürde. Grundrechte. Freiheit

Das rituelle Erinnern am Holocaust-Gedenktag braucht eine Auffrischung. Die bislang "schweigende Mehrheit" von Nicht-AfD-Wählern muss den Rechtspopulisten zeigen: Wir sind das Volk! Es gibt, trotz aller Differenzen bei Themen wie Klima oder Zuwanderung einen Konsens, der uns alle eint: Menschenwürde. Grundrechte. Freiheit. Unter dieser Klammer können wir alle miteinander leben, auch wenn wir uns in den Detailfragen des Lebens uneins sind!

Es wäre im Angst-Wahljahr 2024, in dem Thüringen, Sachsen und Brandenburg neue Landtage wählen, ein kraftvolles Zeichen, wenn 70 bis 80 Prozent der Deutschen am 27. Januar, dem Tag des "Nie wieder!", ein einziges Mal die Straßen und Plätze landauf, landab mit einem Protest gegen rechtsextreme Parteien füllten. Es gäbe genug Organisationen, die das gemeinsam auf die Beine stellen könnten: Gewerkschaften, Jugend- und Sportverbände, Kirchen, Umweltaktivisten, Handelskammern, Künstler und so fort.

Einstehen für die Demokratie

Doch auch abseits von Demonstrationen kann sich jede und jeder für die Demokratie nützlich machen. In der Kantine, bei der Party, auf dem Fußballplatz, beim Gemeindefest: Wo immer Relativierungen und Rechtfertigungen für rechtsextreme und demokratiefeindliche Ideen fallen, kann man aufstehen und sagen: Ich sehe das nicht so. Ich möchte in einer demokratischen, freien und solidarischen Gesellschaft leben. Kommt, lasst uns gleich damit anfangen!

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden

Zwieback am So, 21.01.2024 - 16:40 Link

Wie schwer ein Rückkehren in unser Vorstellungen von Demokratie sieht man auch in Pole. Wenn völkisch denkende Politiker längere Zeit an der Macht sind, lassen sie die nicht so schnell wieder los, auch wenn die Regierung abgewählt ist.