Auf dem langen Spazierweg entlang der Spielplätze ist es dank des bunten Sonnenschirms schon von Weitem zu sehen: das zur mobilen Theke ausgebaute Lastenrad der Neuaubinger Protestanten und Katholiken. Gerade kommt eine junge Frau mit ihrer Tochter im Buggy des Wegs.

"Hallo, wollen Sie vielleicht einen Kaffee?", ruft Stefan Höß ihr zu. Neugierig kommt es zurück: "Was für eine Aktion macht ihr denn da?" Und schon sind Höß und die junge Ukrainerin, die schon seit sechs Jahren im Münchner Westen lebt, mitten im Gespräch über christliche Konfessionen, Wünsche an die Kirche und fehlende Krippenplätze.

Mit einem Lastenrad durch Freiham

Seit einem Jahr ist das Kirchenrad im Einsatz. Für das Konzept hat die evangelische Adventskirche einen Zuschlag als "MUT"-Projekt der Landeskirche bekommen. MUT steht für "missional, unkonventionell, Tandem" - alle drei Attribute waren für die Förderung erfüllt. Als "Tandem"-Partner der evangelischen Gemeinde sind der katholische Pfarrverband Neuaubing und das "Projekt:k Kirche für Freiham" des Hensoltshöher Gemeinschaftsverbands am Start.

"Projekt:k" zählt zu den "Landeskirchlichen Gemeinschaften" - das sind evangelische Gruppierungen, die im Rahmen der Landeskirche eigenständig agieren und finanziert werden.

Kaum Evangelische im neuen Stadtteil

Die derzeit 3.500 Pioniersiedler in Freiham, die zwischen Baugruben und Kränen miteinander leben wollen, gehören zum Großteil keiner Kirche an. Gerade mal 150 Gemeindemitglieder hat die Adventskirche Neuaubing durch den Zuzug bislang gewonnen, etwa die Hälfte davon sind zwischen 24 und 36 Jahre alt, "kaum welche über 50", zählt Pfarrer Michael Bischoff auf.

Die Entscheidung, im neuen Stadtteil keine Kirche oder ein Gemeindezentrum zu bauen, hält er für richtig. "Eine Kirche fehlt nicht in Freiham, nur Räume - aber das müssen nicht kirchliche Räume sein."

Freihamer wollen keine Gottesdienste

Denn ein Sommer "Feldforschung" hat für den Pfarrer eine Haupterkenntnis gebracht: Das Format "Gottesdienst" wird von den Freihamern nicht vermisst. "Wir haben manche Gottesdienste im Freien gemacht, aber da kam niemand von den Neubürgern", berichtet Bischoff. Auch bei der Dauerumfrage am Kirchenrad kämen Gottesdienste als Wunsch nicht vor - stattdessen türmen sich die bunten Wertungskugeln im Glas mit der Aufschrift "Angebote für Kinder und Familien".

Das will Jakobus Launhardt künftig ausbauen: Seit 1. September ist der Religionspädagoge für den Bereich Familie und für Gemeindeprojekte in Freiham zuständig - eine halbe Stelle wird dafür über die MUT-Initiative der Landeskirche finanziert.

Den Mangel an Kinderbetreuungsplätzen aufzufangen, sei nicht Aufgabe der Gemeinde, die mit Hilfe des Ehepaars Höß von "Projekt:k" ohnehin schon vier volle Krabbelgruppen stemmt.

Pfarrer Michael Bischoff (l.) und Religionspädagoge Jakobus Launhardt
Pfarrer Michael Bischoff (l.) und Religionspädagoge Jakobus Launhardt mit dem ökumenischen Kirchenrad für Freiham.

Angebote für Familien

Stattdessen wolle er versuchen, Angebote für Eltern zu machen. "Wenn man Kinder hat, ist man ja plötzlich nur noch Papa oder Mama", sagt Launhardt. Um die dafür nötigen Räume zu finden, will er jetzt auf andere "Player" von Wohlfahrtsverbänden oder Kommune zugehen.

Um das Kirchenrad am Spielplatzrand drängelt sich inzwischen eine Traube Grundschulkinder, die sich auf dem Weg nach Hause bei Jakobus Launhardt noch mit Orangensaft stärken; Stefan Höß weiß inzwischen, dass die junge ukrainische Mutter gläubige orthodoxe Christin ist und sich einen sakralen Raum im Viertel wünscht, "wo man die Gedanken frei kriegen kann".

Ein muslimischer Vater hat seinen Sohn zum Spielen geschickt und sich mit Michael Bischoff in ein langes Gespräch über die Schnittmengen von Religionen und den interreligiösen Alltag vertieft. Der Saft ist längst aus, und für Kaffee ist es manchen Passanten schon zu spät.

"Freiham ist ein komplexes System", sinniert Pfarrer Bischoff beim Aufräumen, "wir müssen als Kirchen immer schauen, was die Leute wirklich brauchen."

Ökumenisches Projekt in Freiham

Die ökumenische Besetzung des Kirchenrads sei dabei eine Hilfe, findet Bischoff, ebenso die unterschiedlichen Charaktere des Teams. Während Stefan Höß, der mit seiner Frau Li-Anne zuvor zehn Jahre als Missionar in Thailand war, oft ganz direkt auf Menschen zugehe, sei er selbst eher zurückhaltend und warte ab, welche Themen die Menschen auf dem Herzen hätten.

Dass die Menschen in Freiham so offen und neugierig seien, liege auch daran, dass es bislang wenig Angebote im Viertel gebe.

Deshalb soll das Kirchenrad, wenn die Tage kürzer und kälter werden, auch nicht einfach nur im Schuppen landen. "Wir denken über Wintereinsätze mit Glühwein und Punsch nach", verrät Michael Bischoff. Vielleicht bekommt der bunte Hingucker-Sonnenschirm dann noch eine Lichterkette.

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