Mittelamerikanische Rhythmen erfüllen den Raum, Füße wippen im Takt der Salsamusik, die Vorbeikommenden lassen sich von der guten und fröhlichen Stimmung anstecken. Immer mehr Menschen treten ein und halten nach einem freien Sitzplatz Ausschau.

Was auf den ersten Blick nach einem lauen Sommerabend in einem Straßencafé klingen mag, ist ein Einblick in die Morgenandacht der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Krakau. Vertreterinnen und Vertreter von 149 Kirchen aus 99 Ländern kommen zusammen, um sich zu begegnen, auszutauschen, zu beraten und zu beschließen. Eingebettet ist alles in Morgen-, Mittag- und Abendgebet und Gottesdienste – natürlich in lutherischer Form. In "klassisch" lutherischer Form – was in weltweiter Perspektive aber eine ganz neue Bedeutung gewinnt.

Lutherisch kann viel mehr heißen als Orgel und Choräle

Was in Deutschland oder Mitteleuropa als klassisch lutherisch gelten mag, wird in anderen Teilen der Welt vollkommen anders wahrgenommen und gefeiert. Da ist keine Orgel – auf der ganzen Vollversammlung nicht – und nur wenig Choräle. Eine Band begleitet Lieder, die aus den verschiedenen Mitgliedskirchen stammen und dort üblich sind. Der Chor singt Texte in den jeweiligen Herkunftssprachen. Je nach eigener Sprachbegabung stimmen die Menschen in den Originalsprachen oder in einer der angegebenen Übersetzungen ein. Man hört sich ein, singt nach, singt mit. Alle Abläufe, Gebete und Liedblätter sind in Englisch, Deutsch, Spanisch und Französisch vorbereitet und abgedruckt – mindestens! Die Liedtexte hingegen sind deutlich vielfältiger und vielsprachiger, je nach ursprünglichem Herkunftsland des Liedes.

Auch Bibeltexte werden nicht einfach nur gelesen, sondern inszeniert: Die Rede des Petrus aus der Apostelgeschichte wird von einem "Volunteer" von der zweiten Empore auf polnisch gerufen, während die restliche Lesung auf Spanisch oder Englisch erfolgt. Die Sturmstillung aus dem Markusevangelium wird mit zahlreichen Tüchern illustriert und bekommt durch Klatschen, Rufen, Stampfen aller Mitfeiernder eine ganz eigene Dynamik. Der Bibeltext wird zur Inszenierung und – auf positive Weise – zum Event. Beim Vater Unser, das jede und jeder in der eigenen Heimatsprache betet, erfüllt ein fast schon pfingstliches Stimmengewirr den Raum.

Einheit in Vielfalt

Ein typisch lutherischer Gottesdienst eben – zumindest bei der Vollversammlung der lutherischen Kirchen. Man hört und spürt das Gemeinsame, als Vielfalt, aber auch als Einheit: Das lutherische "Ein feste Burg" zu Beginn des Eröffnungsgottesdienstes lässt alle aufstehen und es klingt fast wie eine Nationalhymne im Fußballstadion durch den ganzen Saal.

Dabei wird diese Vielfalt als wenig trennend wahrgenommen, sondern sie schafft eine besondere Form der Einheit. Menschen bringen ihre Traditionen, ihre Lieder, ihre Sprache und ihre Formen ein – und indem sich alle darauf einlassen, ist gerade das ein verbindendes Element. Unterschiedliche Musikrichtungen, die bei uns in Gottesdiensten manchmal als trennend erlebt werden, verbinden hier Menschen miteinander. Alle sind Teil dieser einen Gemeinschaft, die ihre jeweils eigenen Traditionen in der Welt hat. In dieser Sprachen- und Musikvielfalt spürt man das.

Hätte Luther Salsa getanzt?

Ich wusste nicht, was mich erwarten wird, als ich nach Krakau auf die Vollversammlung der lutherischen Kirchen fuhr. Erwartet habe ich vermutlich klassische Lutheranerinnen und Lutheraner und traditionelle Formen, wie wir sie vielleicht (zu) schnell mit lutherischer Theologie in Verbindung bringen. Nun saß ich hier bei Salsamusik und kubanischem Flair – in einem klassisch lutherischen Gottesdienst.

Man solle dem "Volk aufs Maul schauen", sagte Luther einmal, um in ihrer Sprache und mit ihren Worten zu sprechen, zu beten und sicherlich auch zu singen. Martin Luther selbst hat die Musik des Volkes zu Kirchenliedern gemacht. Verkündigung, Gebete, Gottesdienste sollen in der Sprache der Menschen sein, die diese Gottesdienste feiern. Das darf ich hier erleben. Menschen reden, singen und beten, so wie ihnen "das Maul" gewachsen ist.

Wer morgens um halb neun Salsaklänge hört, denkt nicht sofort an einen lutherischen Morgengottesdienst. Doch ich bin mir sicher, dass Martin Luther seine helle Freude daran gehabt hätte. Er hätte mindestens mit dem Fuß im Takt gewippt, beschwingt den Raum betreten und vermutlich auch ein wenig getanzt. Oder vielleicht hätte er auch ganz viel getanzt – mit Menschen aus der ganzen Welt …

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Das zweisprachige Liederbuch enthält mehr als 300 Lieder, Choräle und Kanons aus alter und neuer Zeit, die zum gemeinsamen Singen in deutscher und englischer Sprache eingerichtet worden sind. Das Spektrum der Stücke umfasst die Zeit vom 4. bis zum 21. Jahrhundert und reicht von "Nun komm, der Heiden Heiland" über "Vom Himmel hoch, da komm ich her" bis zu "Von guten Mächten treu und still umgeben". Für etliche Lieder aus dem englischsprachigen Raum werden erstmals Übertragungen ins Deutsche vorgelegt. Zahlreiche Chorsätze laden zum mehrstimmigen Singen ein.

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