"Beim zweiten Ansturm auf die Sperre hat Willi die tödliche Kugel getroffen. Kameraden der Sturm-SS haben Willi am Heldenfriedhof neben seinen Kameraden bestattet." In Bastia auf Korsika fiel im November 1943 Wilhelm Gräbner. Das berichtet in einem Brief nach Gräfenberg im Landkreis Forchheim ein Hauptmann der jungen Witwe Margarete Gräbner. Ihre Tochter, die auch Margarete heißt, ist damals zehn Jahre alt. Der kleinen Familie bleibt die Schwarzweiß-Fotografie eines Mannes, der die Soldatenmütze etwas schief auf dem Kopf trägt und mit warmem Blick in die Kamera lächelt.

Wieder in einem Herbst, mehr als 75 Jahre später, packt Enkelin Gabriele Klieme aus Feucht im Landkreis Nürnberger Land dieses Bild, ein paar Briefe und eine "beglaubigte Abschrift der Truppenmeldung" über den Tod Wilhelm Gräbners in Klarsichthüllen und macht sich mit ihrem Mann Jürgen auf nach Korsika, um das Grab ihres Großvaters zu suchen.

"Ich kannte ihn ja gar nicht, den Opa", sagt die 60-Jährige, "aber ich wollte schon immer einmal das Grab suchen".

Mit Korsika verbinden die meisten Menschen tiefblaues Meer und weiße Felsen, schöne Strände und hohe Berge. Dass sich auch auf dieser Insel, der viertgrößten im Mittelmeer, ein kleiner Teil des Zweiten Weltkriegs mit erbitterten Kämpfen abspielte, wissen nicht alle. Oder, dass im November 1942 80.000 Italiener Korsika besetzten. Im Juni 1943 wurden noch einmal 14.000 deutsche Soldaten der SS-Brigade "Reichsführer-SS" auf die Insel gebracht. Spätestens als Anfang September Italien kapituliert, ist für diese deutschen Truppen klar, dass sie ihren Plan, eine Landung der Alliierten auf Korsika zu verhindern, fallenlassen müssen. Am 20. September landen Frei-Französische Einheiten auf Korsika.

Dazu kommt, dass die korsischen Rebellen der Résistance versuchten, aus den Dörfern auf den Hügeln angreifend, die deutschen Truppen am Vormarsch zu hindern und ihnen Nadelstiche zu versetzen. An eine solche Aktion erinnert an einer der wichtigen Hauptverkehrsstraßen im Osten der Insel, wenige Kilometer vom Flughafen Poretta, ein Denkmal aus rosafarbenem Marmor.

Am 13. September 1943 griffen hier 23 Widerstandskämpfer einen deutschen Konvoi an, der schwere Verluste erlitt.

In die Kämpfe gegen Rebellen und Italiener geriet auch Gabriele Kliemes Großvater. In einer Straßensperre ließ er sein Leben. Aber den Heldenfriedhof, von dem im Brief an die Großmutter die Rede ist, gibt es nicht mehr. Stattdessen wurde vor genau 50 Jahren der deutsche Soldatenfriedhof eingeweiht, der in der Hafenstadt Bastia etwas versteckt in einem Wohnviertel mit Villen und Appartement-Häusern auf einer Anhöhe in der Rue de Maréchal Juin liegt.

Luftwaffenattaché Martin Bungert beim Gedenken an die Kriegstoten aller Nationen auf der Mittelmeerinsel Korsika
Luftwaffenattaché Martin Bungert beim Gedenken an die Kriegstoten aller Nationen auf der Mittelmeerinsel Korsika

Wie ein Park wirkt diese Anlage auf vier grünen Terrassen, auf denen über 400 graue Granitblöcke stehen, umrahmt von duftenden, orangefarben und gelb blühenden Wandelröschen, Bougainvillea, Oleander, Palmen und Bananenstauden. Auf einer Plattform im oberen Teil der Anlage steht ein vier Meter hohes weißes Kreuz aus Carrara-Marmor, dessen Form an eine Figur mit ausgebreiteten Armen erinnert. Zu ihren Füßen sind 811 deutsche Tote des Zweiten Weltkriegs und 28 Kriegsgefange aus dem Ersten Weltkriegs bestattet.

839 Namen stehen auf den Granitblöcken.

Ein Name vorne, ein Name hinten. Christian Bauer, geboren am 17. November 1911 in Ingolstadt, gefallen am 25. September 1942 auf Korsika; Josef Burckardt, geboren am 28. November 1911 in Friesenried, gestorben am 13. April 1945 auf Korsika; Ambros Fritz, geboren am 19. März 1903 in Bamberg, gestorben am 19. Dezember in Kriegsgefangenschaft auf Korsika, oder Karl Leistle, 1910 in Nördlingen geboren und am 9. Januar 1945 gestorben - und so geht die Liste weiter.

Gabriele und Jürgen Klieme haben diesen Deutschen Soldatenfriedhof an einem Montag im September erreicht. Und da gerät das Ehepaar aus Franken zufällig in eine hochoffizielle Zeremonie. Sogar Luftwaffenattaché Martin Bungert als Vertreter der deutschen Botschaft ist gekommen, französische und korsische politische Repräsentanten, Vertreter des Volksbunds Deutscher Kriegsgräberfürsorge und eine Gruppe mitreisender Journalisten lauschen Reden über Frieden und Versöhnung.

Der deutsche Militärgeistliche Michael Gmelch von der Bundeswehrhochschule Neubiberg hält eine Andacht in französisch und deutsch. Französische Veteranen, in reich mit Orden dekorierten Uniformen, einer von ihnen 90 Jahre alt, stehen mit ihren Fahnen stramm vor dem hohen Kreuz. Der Reihe nach legen die Abordnungen Blumenbukette mit Schärpen ab. Zuvor hatten Delegationen dies schon an englischen und französischen Soldaten-Gräbern getan.

Es war im Jahr 1955, als das deutsch-französische Kriegsgräberabkommen in Kraft trat, in dem auch vorgesehen war, dass für alle auf der Insel Korsika gefallenen und verstorbenen deutschen Soldaten ein neuer Friedhof angelegt werden sollte. Der bisherige Soldatenfriedhof muss ein trauriger Anblick gewesen sein. Eine alte Fotografie zeigt schiefe und umgefallene Holzkreuze auf einem unebenen, löchrigen Feld: Raab zeigt eine alte Fotografie herum. Umbettungen von hier fanden im Jahre 1964 statt, heißt es in Unterlagen des Volksbunds Deutscher Kriegsgäberfürsorge. Es seien dabei bisher nicht bekannt gewesene Gräber aufgefunden und eine große Anzahl unbekannter Toter identifiziert worden. 

Auf diesem früheren Friedhof könnte der Großvater von Gabriele Klieme noch ein Grab gehabt haben. Nun aber fehlt sein Name auf der Bastia-Liste der Toten des Zweiten Weltkriegs.

Der Geschäftsführer des Volksbund Deutscher Kriegsgräber Jörg Raab checkt per Smartphone die Online-Listen der Kriegsgräberfürsorge. Tatsächlich: kein Gräbner, kein Graebner, kein Grabner. 

3,5 Millionen Mal im Jahr wird die Internetseite www.graebersuche-online.de des Volksbunds aufgerufen, sagt Raab. Aus dem Zweiten Weltkrieg gebe es heute noch über eine Millionen Vermisstenfälle.

Kliemes sind nach der Begegnung mit der Delegation noch einmal nach Bastia gefahren, um zu suchen. Sie hat es nicht glauben können, dass vom Grab ihres Großvaters einfach keine Spur zu finden ist, sagt Gabriele Klieme. Eine Erklärung könnte sein, dass der tote Soldat Willi Gräbner bei der Umbettung aus dem früheren Heldenfriehof nicht erfasst wurde, sagt Jörg Raab. "Vielleicht ist er als Unbekannter Soldat begraben worden". Kliemes haben nun einen Suchauftrag an den Volksbund gestellt und warten auf eine Antwort.

 

Dieser Text enstand im Rahmen einer Pressefahrt des Volksbundes Deutscher Kriegsgräberfürsorge.

Was ist der Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge?

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit seiner Bundesgeschäftsstelle in Kassel kümmert sich im Auftrag der Bundesregierung um die Gräber deutscher Kriegstoter im Ausland. Die humanitäre Organisation wurde vor 100 Jahren 1919 von heimkehrenden Soldaten des Ersten Weltkrieges gegründet. Mit Hilfe dieser Bürgerinitiative konnten sie sich um die Gräber ihrer gefallenen Kameraden im Ausland kümmern - eine Aufgabe, die die Weimarer Republik wirtschaftlich nicht stemmen konnte.

Der Volksbund betreut nach eigenen Angaben heute 832 Kriegsgräberstätten in 46 Staaten mit etwa 2,8 Millionen Kriegstoten. Dabei kann er auf mehrere Tausend Ehrenamtliche und derzeit 562 hauptamtliche Mitarbeiter zurückgreifen. Jährlich werden noch immer knapp 30.000 weitere Kriegstote geborgen. In weniger als zehn Prozent gelingt es, Angehörige ausfindig zu machen. Die Mitarbeiter des Gräbernachweises beantworten jährlich rund 43.000 Anfragen zum Verbleib der Toten der beiden Weltkriege.