Im Gespräch mit dem Sonntagsblatt erläutert der katholische Erzbischof, warum der Holocaust-Gedenktag immer noch wichtig ist und warum er regelmäßig das frühere Konzentrationslager Auschwitz besucht.

Herr Schick, was bewirkt ein Gedenktag 77 Jahre nach Kriegsende überhaupt noch?

Schick: Der Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus muss unbedingt bleiben, damit sich nicht wieder Herrendenken und Rassismus, Verachtung von Menschen und Ethnien einschleichen. Und wir schulden es den Opfern! An das Kriegsende zu denken, hilft, sowohl die dankbare Freude am Frieden zu stärken und sich für den Frieden einzusetzen, als auch sich Leid und Not, Tod und Zerstörung des Krieges bewusst zu machen und Krieg zu ächten. Gedenktage sind nötig für uns Menschen, damit wir menschlich bleiben.

Als Leiter der deutsch-polnischen Kontaktgruppe der beiden Bischofskonferenzen sind Sie häufig in Auschwitz. Welche Lehren ziehen Sie aus diesen Aufenthalten?

Schick: Ich bin jedes Jahr mindestens einmal in Auschwitz. Fast immer mit Gruppen, mit denen ich die beiden Lager besuche, anschließend Gespräche führe, oft auch unter Beteiligung von Überlebenden des KZ. Jedes Mal gehe ich auch alleine und still durch das Stammlager und durch Auschwitz-Birkenau. Ich spüre dabei psychisch und physisch die Kälte und die Hitze, denen die Gefangenen ausgeliefert waren, ihre Ängste und Leiden, die Entmenschlichung und den Tod. Das erschüttert mich jedes Mal neu! Solche Erschütterung ist für uns Menschen nötig. Daraus entstehen Mut und Kraft, sich für eine gerechte, friedliche, angstfreie und humane Welt einzusetzen. Für mich bedeutet das zum Beispiel, mich immer wieder in Predigten, Vorträgen und Gesprächen, aber auch durch die Medien für Versöhnung und Frieden einzusetzen.

Bei den "Spaziergängen" der Corona-Leugner werden Parallelen zum Nazi-Regime gezogen, jüngere Spaziergänger vergleichen sich mit Sophie Scholl. Wie sagen Sie zu solchen Gleichsetzungen?

Schick: Schlagworte sind immer gefährlich, weil sie - wie das Wort sagt - schlagen und erschlagen. Sie erschlagen oft jeden vernünftigen Dialog, der aus These und Antithese eine Synthese sucht. Für den Zusammenhalt in unserer pluralistischen Gesellschaft sind Gespräche, Diskussionen und Dialog unerlässlich. Der Schlagabtausch mit Schlagwörtern fördert die Spaltung der Gesellschaft und vertieft die Gräben. Wenn Schlagworte mit der Nazizeit, dem Antisemitismus und dem Holocaust verknüpft werden, sind sie zudem ein Schlag ins Gesicht der Opfer der Hitlerzeit. Sie gehören verboten!