Zwei Sängerinnen sind bereits da und decken den Tisch. Die erste Probe nach den Weihnachtsferien sitzt der Chor immer noch gerne bei Selbstgebackenem zusammen. Kurz darauf eilt auch Sabine Dobbertin in den Saal des Gemeindehauses und schnappt sich sofort die aufgestapelten Stühle. »Meine Damen sagen immer, mir kann man es nicht recht machen, deswegen mache ich es selber«, meint sie lachend. Lachen und Begeisterung, das sind zwei Aspekte, die sich  durch die ganze Chorprobe ziehen.

Die 50-Jährige wurde in der Oberlausitz geboren, studierte evangelische Kirchenmusik in Görlitz. Ihre erste Stelle war im Erzgebirge. »Die haben eine wunderbare Silbermannorgel, wie neu«, schwärmt sie. Ganz kurz vor der Wende ziehen sie und ihr Mann nach Stuttgart. Mit Kirchenmusik ist da Schluss, denn die Landeshauptstadt ist mehr als gesättigt. Also verlegt die junge Frau ihr Schaffen auf privaten Klavierunterricht, zu Hause bei ihren Schülern. »Das war damals eine echte Marktlücke.«

VERLAGSANGEBOT

Thema Musik

 

 

 

 

 

Bei uns spielt die Musik – alles rund um das Thema finden Sie in unserem Shop!

Der Chor ist ihr Lieblingsinstrument

Doch das Singen fehlt ihr und sie findet einen Chor in der Waldkirche. Richtig viel Spaß habe das gemacht und auch den Wunsch geweckt, selbst wieder einen Chor zu leiten. »Die Leiterin und andere hielten ihre Ohren offen und als Erstes kam eine Mutterschutzvertretung in Murr«, erinnert sie sich. Dann wird Pleidelsheim frei – und im Herbst 1993 legt sie los. Sabine Dobbertin verkauft ihr Auto und reist fortan mit S-Bahn und Bus an. Genau deswegen haben die Pleidelsheimer ungewöhnliche Probenzeiten: donnerstags von 19.50 Uhr bis 21.20 Uhr. Der Zug zurück muss schließlich erreicht werden.

2004 zieht das Paar von Stuttgart nach Augsburg. Dobbertin behält wegen ihrer Schüler, dem Chor und der Orgelvertretung am Sonntag eine kleine Wohnung in Stuttgart. Langsam aber sicher verlagert sich ihr berufliches Standbein jedoch nach Bayern. Auch als Organistin wird sie hier tätig, mit den offiziell sechs Pleidelsheimer Auftritten im Jahr lässt sich das gut koordinieren. »Nach zwei Jahren wurde mir das aber doch zu viel.« Der Pfarrer hätte eher gedacht, dass sie den Chor aufgibt. »Aber Chor ist mein Lieblingsinstrument, nicht die Orgel.«

Mit Pech wird’s auch mal zwei Uhr morgens

Noch immer hat sie fünf Klavierschüler in Stuttgart, und solange das so ist, will sie auch die Pleidelsheimer nicht aufgeben. Auch, wenn die Bahnfahrerei manchmal ganz schön stressig ist. »Ich muss halt super pünktlich sein und mit dem Zug klappt das nicht immer«, erzählt sie augenzwinkernd. Nach den Proben fährt sie ein Sänger zur S-Bahn. »Das regeln die untereinander, ich frage nur, wer ist heute mein Taxi?« Der letzte Zug nach Augsburg fährt um 22.13 Uhr, den muss sie erwischen. Wenn es gut läuft, ist sie dann um Mitternacht in der Heimat. »Während der Hochwasserzeit gab es viele Verspätungen, da war es schon mal zwei Uhr morgens.«

Sonntags fährt sie um 5.30 Uhr mit dem Rad zum Bahnhof, um rechtzeitig zum Einsingen im Schwabenland zu sein. »Das Schöne ist, dass man noch Zeit hat, die Unterlagen anzuschauen. Wenn ich hier wohnen würde, würde ich das vermutlich nicht machen«, gibt Dobbertin offen zu.

Von ihren Sängern, derzeit sind es etwa 18, ist sie begeistert. »Es ist unglaublich, was die stemmen, vor allem, als wir zwischendurch mal nur zwölf waren«, lobt sie. Trotzdem – nur wegen des Chors würde sie vermutlich nicht jede Woche herfahren, auch wenn sie sonntags genau das tut. »Wo ich wohne, gibt es keine Kirchenchöre, alles wird zusammengelegt«, beschreibt sie die Lage.

Das Leben von Sabine Dobbertin ist sehr durchstrukturiert, anders geht es nicht. Wenn sie dann mal frei hat, schaut sie den ganzen Tag nicht auf die Uhr. Dann bleibt Zeit zum Lesen, für ihren Kater oder für das Glasinstrument, eine weitere Leidenschaft der Musikerin. Bevor es dann wieder an den Bahnhof geht: auf nach Stuttgart und dann nach Pleidelsheim.