Herr Guba, die evangelische Landeskirche gedenkt Bonhoeffers zu seinem 80. Todestag mit einer Veranstaltungsreihe vom 3. bis 10. April in der KZ-Gedenkstätte. Was können Sie besonders empfehlen?
Thomas Guba: Am 6. April findet ein Gedenkgottesdienst mit Landesbischof Christian Kopp statt, der um 10 Uhr im Bayerischen Fernsehen übertragen wird. Etwa 700 Gäste können den Gottesdienst in einem Zelt auf dem Appellplatz in Flossenbürg live miterleben. Es werden viele junge Menschen dabei sein, denn die Jugendbegegnung findet an diesem Tag ihren Abschluss. Am Abend des 6. April dann tritt in der Michaelskirche in Weiden das Ensemble Nobiles mit dem Gewandhauschor Leipzig auf. Sie führen Motetten nach Texten von Dietrich Bonhoeffer auf, die von sechs Komponisten aus fünf Ländern komponiert wurden. Auch das Konzert ist für alle Altersklassen gedacht.
Wie diese Komposition nahm auch Bonhoeffer viele ganz unterschiedliche Einflüsse in seine Gedanken- und Glaubenswelt auf. Inwiefern war Bonhoeffer ein Mensch, der europäisch dachte und in der Weltkirche zuhause war?
Wenn man sich näher mit ihm befasst, fällt auf, dass er unheimlich breit aufgestellt war und mit so vielen Menschen seiner Zeit, in der man nicht mal so schnell irgendwo hinfliegen konnte, Kontakte gepflegt hat. Schon in jungen Jahren war er als Pfarrer in den USA, Schweden und England aktiv und vernetzt. Diese Verbindungen sind etwas, was uns auch als Kirche prägt. Wir dürfen sie nicht aufgeben, auch nicht in Zeiten, in denen in manchen Ländern die Entwicklungshilfen gekürzt werden. Das ist etwas, was Bonhoeffer uns – nicht direkt, aber doch – ins Stammbuch geschrieben hat.
"Wir müssen als Kirche die politische Situation sehr gut beobachten und deutlich Nein sagen zu Entwicklungen am rechten Rand."
Einer seiner meistzitierten Sätze ist, dass man "dem Rad in die Speichen greifen" müsse. Inwiefern ist der heute noch aktuell?
Bonhoeffer hat es im politischen Kontext gebraucht. Ein Mensch, der unterwegs ist, auch damals schon mit Auto, und auf eine Menschenmenge zufährt – dass man dies verhindern muss. Was mit dem Attentat in München eine traurige Realität gewonnen hat. Aber Bonhoeffer hat es politisch gemeint. Ich glaube, wir kommen immer stärker in eine Situation, in der wir als Kirche die politische Situation in unserem Land sehr gut beobachten müssen und auch deutlich Nein sagen müssen zu Entwicklungen am rechten Rand unserer politischen Landschaft. Ich finde es sehr gut und wichtig, dass wir bei all den Initiativen für mehr Demokratie als Kirche präsent sind und uns auch mit einbringen.
Welchen Standpunkt würde Bonhoeffer in der heutigen Migrationsdebatte vertreten?
Bonhoeffer hatte vermutlich noch nicht so stark andere Religionen im Blick, in Deutschland gab es entweder Christinnen und Christen oder Atheisten. Aber er würde gut biblisch sagen: Kümmert euch und gebt den Fremden ein Zuhause oder seid ihnen zumindest nahe. Als einer der ersten Europäer würde er wahrscheinlich nicht auf Alleingänge setzen, sondern auf gemeinsame Lösungen in einer Gemeinschaft wie der Europäischen Union.
"Ich könnte mir keine andere Theologie vorstellen als genau diese öffentliche Theologie."
Bonhoeffer gilt als Vertreter einer öffentlichen Theologie. Welches Gewicht hat sie in einer kleiner werdenden Kirche?
Kirche steht in dieser Welt, ist Teil dieser Welt und für alle Menschen da, die in diesem Land in einer Gesellschaft leben. Wir sind ein gesellschaftlicher Player. Auch wenn unsere Akzeptanz bei vielen weniger wird, müssen wir uns um die Menschen kümmern. Ich könnte mir keine andere Theologie vorstellen als genau diese öffentliche Theologie. Es ist keine aufgesetzte, keine Regeltheologie, sondern wir wirken in die Gesellschaft hinein, nehmen Dinge auf und spiegeln sie wider – auch wenn wir uns dabei Dinge anhören müssen, was Menschen so alles nicht gefällt. Das Standing haben wir. Es darf sich auch etwas verändern, wenn wir neue Erkenntnisse haben. All das ist öffentliche Theologie im Sinne Bonhoeffers.
Wer sich tiefer mit Bonhoeffer beschäftigen will, kann dies bei einem internationalen Symposium mit dem Titel "Wem gehört Bonhoeffer" tun. Warum ist diese Einordnung notwendig?
Da geht es um die Bonhoeffer-Rezeption der jüngsten Zeit und die Frage, wie Bonhoeffer in den unterschiedlichen Kontexten gesehen wird. Wir gehen mit Theologen aus aller Welt der Frage nach, inwiefern er auch falsch gesehen und von Menschen für ihre Zwecke genutzt und manipuliert wird. Der frühere Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm wird beim Symposium, das im Wesentlichen unter seiner Regie entstanden ist, dabei sein.

Dietrich Bonhoeffer: Leben und Werk
Der Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) gilt als einer der wichtigsten Vertreter des christlichen Widerstandes im Nationalsozialismus. Die Ausstellung schildert das Leben und Werk des evangelischen Pfarrers und kann ausgeliehen werden.
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Ein umfassendes Dossier zu Dietrich Bonhoeffer gibt es unter diesem Link.
Zum Gedenkjahr 2025 haben wir alle Veranstaltungen und Termine hier zusammengefasst.
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Die Zusammenkunft vieler…
Die Zusammenkunft vieler junger Leute hätte Herrn Bonhoeffer sicher gefallen und auch der Bezug zu Praxis und Alltag. Bei der politischen Analyse bin ich mir allerdings nicht so sicher, denn die Situation ist eben nicht mit den 1930er Jahren vergleichbar. Wir haben es nicht mit einer vom Weltkrieg verhermten und verrohten Gesellschaft zu tun, die aus der Weltwirtschaftskrise kommt und mit Demokratie vor allem Straßenschlachten, Armut und Demütigung einer sich als Großmacht verstehenden Nation verbindet. Wir haben es auch nicht mit demokratieverachtenden Eliten zu tun, die diese in ihrem Sinne vielmehr gestalten und nutzen und bisweilen auch missbrauchen. Deutschland ersäuft auch nicht im Autoritarismus oder Nationalismus. Die Leut' begehren vielmehr gegen eine Abschottung der Eliten auf und sind verunsichert und müde, aufgrund einer sich rasch wandelnden Welt. Statt Dauerhyperventilation ist eher Entschleunigung gefragt und nicht das Hupfen über jedes Stoeckchen, nicht der Dauerarlarm, der nur abstumpft. Auch bedroht heute Deutschland nicht die Welt. Anders als in Ländern außerhalb des Westens, würden viele hier und im Resteuropa eher ans Ende der Welt als in den Krieg ziehen. Die ständige Bezugnahme auf das letze Jahrhundert führt daher auch nicht zum erhofften Erfolg sondern zum Gegenteil, weil die Diskrepanz den Menschen bewusst ist. Deutschland wäre selbst wenn es wollte aktuell gar nicht in der Lage die Welt erneut ins Chaos zu stürzen.