München (epd). Die Gefahr von Schaufensterreden, zu hohe Kosten, unnötig und überflüssig - mit solchen Argumenten hatten die Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern Ende März die Livestreams aus den Ausschuss-Sitzungen des Bayerischen Landtags beendet. Eingeführt worden waren diese während der Corona-Pandemie. Dass damit endgültig Schluss sein soll, dagegen regte sich Widerstand, der Dringlichkeitsantrag der SPD-Fraktion für die Plenarsitzung des Landtags am Donnerstag (19. Mai) ist nur ein Teil davon. Doch offenbar zeichnet sich eine Lösung ab.
Die SPD-Fraktion legte den Fokus in ihrem Dringlichkeitsantrag auf Menschen mit Handicap, denen durch das Aus der Ausschuss-Livestreams die Möglichkeit der politischen Teilhabe erschwert werde, sagte SPD-Inklusionsexpertin Ruth Waldmann. Die inzwischen "bewährte Praxis" dürfe "auf keinen Fall beendet, sondern muss weitergeführt und vielmehr aktiv beworben werden". Schon ohne ein Handicap sei "eine persönliche Anreise für die meisten Bürgerinnen und Bürger" zur Teilnahme an einer öffentlichen Ausschuss- oder Plenarsitzung im Landtag ausgesprochen schwierig.
Waldmann spricht von einem "Rückschritt in vor-digitale Zeiten", sie halte es für skandalös, dass die Regierungsfraktionen von CSU und Freien Wählern "diese sehr gute Einrichtung jetzt kappt". Der Ende März gefundene "angebliche Kompromiss" erlaube zwar Mitarbeitern der Staatsregierung sowie Journalisten den Livestream, nicht aber den Bürgern. Die Ausschuss-Sitzungen seien jedoch "der Maschinenraum der Demokratie", dort würden "Entscheidungen diskutiert und besprochen". Die Bürger auszuschließen, sei undemokratisch, urteilt die SPD-Abgeordnete Waldmann.
Der zwischen CSU und Freien Wählern ausgehandelte Kompromiss sieht nach Informationen des Evangelischen Pressedienstes (epd) vor, dass auch weiterhin Ausschuss-Sitzungen per Livestream für jedermann ins Netz übertragen werden sollen - immer dann, wenn Regierungsvertreter in den Ausschüssen Berichte vorlegen oder Sachverständige gehört werden. Öffentliche Live-Übertragungen aus "normalen" Ausschuss-Sitzungen zu Gesetzgebungsverfahren soll es nicht mehr geben - diese Sitzungen können aber etwa von Journalisten weiter per Videokonferenz verfolgt werden.
Ob der für Donnerstag geplante Dringlichkeitsantrag tatsächlich behandelt wird, ist noch unklar. Die Plenarsitzung endet pünktlich um 18 Uhr - es kann also sein, dass der SPD-Antrag erst in einer der nächsten Plenarsitzungen behandelt wird. Als einer der entschiedensten Gegner der Beibehaltung von Ausschuss-Livestreams gilt CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer. Die Gegner argumentieren vor allem mit den hohen Kosten, die gut 15.000 Euro pro Sitzungswoche betragen. Diese fallen nach epd-Informationen aber fast in gleicher Höhe auch bei der nun gefundenen Kompromisslösung an.
Die Münchner Politikwissenschaftlerin Jasmin Riedl hält grundsätzlich öffentliche Ausschuss-Sitzungen für problematisch. Der Bundestag und auch die Landesparlamente seien in Deutschland als Arbeitsparlamente angelegt, sagte die Professorin für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr in München am Donnerstag. Sie gälten als Werkstätten der Parlamente, dort gehe es um sachliche Arbeit beispielsweise an Gesetzestexten, der parteipolitische Wettbewerb trete zurück. Die Gefahr von "mehr Schaufensterdebatten" bei mehr Öffentlichkeit sei durchaus gegeben.
Während in den meisten Landesparlamenten und auch im Bundestag die meiste Ausschuss-Arbeit nicht-öffentlich stattfindet, ist das in Bayern anders. Dort regelt die Geschäftsordnung des Landtags, dass die Sitzungen der Ausschüsse grundsätzlich öffentlich sind. Laut Riedl ändert das "jetzt erst einmal nichts an der grundsätzlichen Problematik". Wenn die Öffentlichkeit aber nicht nur für Anwesende, sondern digital für jedermann hergestellt werde, sei die Gefahr einer parteipolitischen Auseinandersetzung noch einmal deutlich größer.