Edmund Schultz trägt eine grelle Warnweste und ein Banner. Er wartet auf die Grünphase einer Ampel an einer viel befahrenen Kreuzung in Braunschweig. Dann setzt der 58-Jährige sich im Schneidersitz auf den Asphalt. Die Autofahrer hinter ihm werden sichtlich nervös.

"Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis ich mich das getraut habe", sagt Schultz. Er gehört zur Protestbewegung "Die Letzte Generation" und nimmt schon seit Monaten an Straßenblockaden teil, um die Regierung zum Handeln gegen die Klimakrise zu bewegen. Doch heute klebt Schultz seine Hände nicht mit Sekundenkleber fest, um den Verkehr für Stunden lahmzulegen. Er beendet seine Demonstration nach wenigen Minuten. Die Autofahrer wirken erleichtert.

Die Protestbewegung "Die Letzte Generation" nutzt zivilen Ungehorsam, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen

Schon mehrfach hat die Polizei den Aktivisten von der Straße geholt. Beim letzten Mal wurde dabei sein Schlüsselbein gebrochen. Schultz nimmt die Schmerzen in Kauf, denn er sieht keinen anderen Ausweg. Als er im Jahr 2018 einen Artikel über den Bericht des Weltklimarats (IPCC) las, war er für zwei Tage im "Krisenmodus", wie er sagt.

"Dann habe ich entschieden, mich den Rest meines Lebens voll und ganz für den Klimaschutz einzusetzen."

Er kündigte seinen Arbeitsplatz in einem Ingenieur-Büro und fand Menschen, die ihm Geld für einen "sehr bescheidenen" Job als Projektmanager in einem Verein spendeten. Seitdem ist er hauptberuflich Klima-Aktivist.

"Dass wir eine Deadline haben und es um unser Überleben als Menschheit geht, das ist der absolute Hammer", sagt Schultz, ein groß gewachsener Mann, der seine grau-weißen langen Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat. Fast mechanisch zählt er einige der sogenannten Kipp-Punkte auf, die laut Experten in bis zu drei Jahren drohen, einen unumkehrbaren Effekt zu entwickeln: Schmelzende Polarkappen, der auftauende Permafrostboden, als Folgen Dürreperioden, Starkregen, Stürme, Feuer, Hungersnot und Massenfluchtbewegungen.

"Wenn wir den Selbstverstärker-Effekt erreicht haben, dann ist Feierabend", sagt Schultz. "Dann können wir nichts machen und haben eine drei bis vier Grad heißere Welt." Diese werde laut Prognosen von Klimaforschern vom Äquator ausgehend unbewohnbar.

Aus dieser Dringlichkeit heraus handelt "Die Letzte Generation".

"Wir sehen den zivilen Ungehorsam als unsere einzige Chance, die Regierung dazu zu bewegen, sich für das Leben einzusetzen",

sagt Schultz. In seinen Augen erzeuge der lahmgelegte Verkehr zwar Unmut, aber auch Wirkung.

Rezeption der Protestaktionen der "Letzten Generation"

Der Protestforscher Simon Teune hingegen bezweifelt, dass die Aktionen einen direkten Druck auf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausüben. Es gebe zwar einen Zusammenhang zwischen der Klimakrise und dem Autoverkehr. "Aber die Leute, die auf der Autobahn behindert werden, sind nicht der Bundeskanzler." Durch die Regelmäßigkeit der Aktionen sorge die "Letzte Generation" allerdings für eine Medienberichterstattung und dafür,

"dass das Thema der Klimakrise weiter an der Oberfläche bleibt".

Auch Sonja Manderbach aus Oldenburg ist von der Protestform der "Letzten Generation" überzeugt. "Irgendwann war ich an einem Punkt, an dem habe ich alles gemacht, was man machen kann", sagt die 45-jährige Kirchenmusikerin. Schon länger hatte sie sich mit Demos und Unterschriftenaktionen für den Klimaschutz eingesetzt. "Es hat sich aber nicht genug getan." Als gläubige evangelische Christin sieht sie sich in guter Tradition. "Auch die Reformation war eine Form von Widerstand."

Also klebte auch Manderbach zuerst ihren Fuß, später auch ihre Hände, die sie für das Spielen von Orgel, Gitarre und Klavier braucht, an der Straße fest. Nur sehr selten sei ihre Haut verletzt worden, die Polizei löse die Aktivisten meist mit Pflanzenöl oder Aceton von der Straße ab. Manderbach kämpft auch für die Zukunft ihrer 15-jährigen Tochter. Diese unterstütze ihre Mutter, habe aber auch geschluckt, als sie ihr eröffnete, dass sie für eine Zeit ins Gefängnis gehen könnte.

Beweggründe für die Aktionen zivilen Ungehorsams

Viele der jüngeren Aktivisten hätten die Hoffnung auf eine eigene Familie hingegen aufgegeben. "Ich will nicht, dass man tatsächlich keine Kinder mehr in diese Welt setzen kann", sagt die Musikerin bestimmt.

"Wir sind die letzte Generation, die etwas ändern kann, um das Ausmaß und den Verlauf der Katastrophe zu ändern."

Also setzen sich Manderbach und Schultz auch weiterhin auf die Straßen und greifen zum Klebstoff. Ohne dabei Menschenleben zu gefährden, wie beide betonen. Dennoch schätzt Schultz, dass bis zu 100 Strafverfahren gegen ihn laufen. Zahlreiche Anwälte unterstützen die Organisation.

Aus wissenschaftlicher Sicht laufe Ende 2024 die Frist ab, um einen Wandel zu erzielen, ergänzt Schultz. Bis dahin will er weiter kämpfen, ohne an ein mögliches Scheitern zu denken.

"Wenn wir es jetzt nicht schaffen, ist es in spätestens drei Jahren zu spät.