An einem Montagmorgen vor einigen Wochen klickte ich auf einen Internet-Link, den mir meine Frau weitergeleitet hatte. Ich stieß auf eine spektakuläre Schlagzeile. Sie lautete: "Cannabistum: Neue Weihrauchsorte im Erzbistum Bamberg entwickelt." "Unter strenger Überwachung der Gesundheitsbehörden", so der Text unter der Headline, habe die Erzdiözese "eine Weihrauchmischung auf Grundlage von Cannabispflanzen" komponiert. Sie trage dazu bei, dass "die spirituellen Erfahrungen der Gottesdienstbesucher neue Höhen" erreichen.
Ich war entzückt und konnte gleich in der ersten Vorlesung des Tages nicht an mich halten, die römisch-katholische Kirche zu preisen.
"Während der Protestantismus auf Ernüchterung und moralischen Ernst setzt und Moral in gleicher Weise zum Statussymbol erhebt wie Andere ihre Urlaubsreisen, kontert der Katholizismus mit Berauschung, Entrückung und Ekstase! Was für ein genialer geistesgegenwärtiger Coup! Während sich die evangelische Kirche humorlos und mit heiligem Ernst erdenschwer, mit gesenktem Haupt und erhobenem Zeigefinger auf dem Boden der Tatsachen einherquält, zelebrieren unsere römischen Brüder und Schwestern Schulter an Schulter mit der Ampelkoalition andersweltliche rituelle Entrückung als letzten Fluchtweg aus den Aussichtslosigkeiten der Alltagsrealität und aus der Vergeblichkeit ihrer pädagogischen oder politischen Transformation zum Reich Gottes auf Erden! Während wir Protestanten uns illusionslos in der Immanenz einrichten, setzen die Katholiken auf die Droge der Transzendenz!"
So oder so ähnlich schwärmte ich meinen Studierenden gegenüber.
Als ich abends nach Hause kam, erzählte ich meiner Frau davon – immer noch beschwingt, als hätte ich etwas geraucht. "Ich habe die frohe Botschaft sofort an der Hochschule weiterverbreitet!", sagte ich. "Cannabisweihrauch im Erzbistum Bamberg! Wie geil!" Sie antwortete:
"Dir ist schon klar, dass das ein Aprilscherz war?"
Religion ist bewusstseinserweiternd
Es war mir nicht klar. Ich sank innerlich zusammen. "O Gott, wie peinlich!", dachte ich. Scham machte sich in mir breit. Größer als die Scham war allerdings die Enttäuschung. Nicht, weil ich Cannabisfan wäre. Das nicht. Zwar liebe ich Weihrauch. Vor allem aber bin ich ein Fan der bewusstseinserweiternden Droge Religion. Und die Idee eines Weihrauchs, der das spirituelle Bewusstsein noch mehr erweitert als ohnehin schon, ist für mich theologisch einfach unwiderstehlich. So unwiderstehlich, dass ich es zum Heulen fand, die neue Weihrauschmischung nur als Aprilscherz inhalieren zu können. Vorläufig zumindest. (Hoffentlich.)
Natürlich hatte Karl Marx Recht mit seinem kirchenkritischen Verdacht, Religion könne zum Opium des Volks und zur Jenseitsvertröstung, also gewissermaßen zur Abfindung und zum Alibi des Verzichts auf die Arbeit an einer besseren Welt werden. Aber es stimmt eben leider auch, dass eine Kirche, die den alten Marx zu tief inhaliert, Gefahr läuft, nur noch Botschaften der Vertröstung aufs Diesseits zu senden und den Sinn für rettende Transzendenz zu verlieren.
Ich dagegen träume von einer evangelischen Kirche, die den Mut hat, als Antidot zur grassierenden Jenseits- und Gottesvergessenheit unserer säkularen Welt in Erscheinung zu treten. Ich träume von einer evangelischen Kirche, die sich nicht in depressions- oder illusionsgefährdeter Diesseitsvertröstung erschöpft, sondern sich als Raum der Transparenz für eine ganz andere Wirklichkeit wiederentdeckt und erkennt, dass sie etwas zu sagen hat, was keine andere gesellschaftliche und schon gar keine politische Akteurin sagen kann. Ich träume von einer evangelischen Kirche, die ein lebendiger Hinweis ist. Ein Hinweis darauf, dass der Himmel offen ist und dass wir nicht verloren sind, auch wenn wir eigentlich nicht zu retten sind.
Die Droge des Evangeliums
Bier wurde in Klöstern immer schon gebraut. Cannabisweihrauch dagegen wird es leider wohl bis auf Weiteres nicht geben. Und in evangelischen Kirchen vermutlich nicht mal "normalen" Weihrauch. Aber ich finde, die evangelische Kirche sollte ein bisschen mehr Drogen anbauen. Und zwar sollte sie die Droge anbauen, auf die sie von je her das Patent hat. Die Droge des Evangeliums nämlich, dessen Genuss die Sinne nicht weltflüchtig benebelt, sondern für die tiefste und letzte Wahrheit schärft und sensibilisiert. Für die Wahrheit, dass die Welt nicht mit sich allein und nicht allein sich selbst überlassen, sondern ein Kind der Anderswelt ist.
Ich würde sogar eine Nebenwirkung dieser verrückten und verrückenden anderswelteröffnenden Droge in Kauf nehmen. Ich würde mich leichtfüßig und beschwingt für eine menschen- und gotteswürdige Veränderung der diesseitigen Welt einsetzen.
Und das ist kein Aprilscherz.
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