Ein Jahr hatte Sergej S. (Name geändert) keine Drogen mehr genommen. Doch vor wenigen Wochen erlitt er einen Rückfall. »Ich bin völlig verzweifelt«, sagt der 47-Jährige, der vor fünf Jahren mit Frau und Kind aus der Ukraine floh und heute in Würzburg lebt. Sergej S. droht die Abschiebung. Obwohl er mit dem HI-Virus infiziert und drogenabhängig ist. Sein Würzburger Substitutionsarzt Rainer Schohe kämpft darum, dass er bleiben darf.
Sergej S. konsumiert Drogen, seit er 19 ist. »Ich habe Opium gespritzt«, berichtet er. Offensichtlich hatte er sich dadurch irgendwann mit HIV angesteckt. Wann und wo genau, das kann Sergej S. nicht sagen. Nach seiner Ankunft in Zirndorf wurde die Infektion bei einer routinemäßigen Untersuchung entdeckt: »Ich war völlig schockiert.« Nur sein engstes Umfeld weiß, dass er »positiv« ist: »Meine Mutter in der Ukraine hat keine Ahnung.«
Medikamente auf eigene Rechnung beschaffen
Sergej S. erhält in Würzburg ein HIV-Medikament, mit dem er ein normales Leben führen kann. Ob er in der Ukraine nahtlos weiterbehandelt werden kann, erscheint fraglich. Das geht auch aus dem Urteil des Würzburger Verwaltungsgerichts hervor, das den abgelehnten Asylantrag des Ukrainers überprüfte. Der Beginn einer HIV-Behandlung, heißt es wörtlich in dem Papier vom Mai, sei gelegentlich »korruptionsbedingt« davon abhängig, »dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft«. Schohe findet das »zynisch«: »Das ist quasi ein Aufruf zu einer strafbaren Handlung.«
Dem Gericht liegen Informationen vor, nach denen nicht einmal jeder dritte HIV-Patient in der Ukraine adäquat behandelt wird. Es sei aber nicht automatisch davon auszugehen, dass Sergej S. zu jenen 70 Prozent der nicht gut Behandelten gehören wird. Ihm sei zuzumuten, seinen Anspruch auf eine kostenlose Behandlung in der Ukraine durchzusetzen, heißt es in den Entscheidungsgründen, mit denen die Ablehnung des Asylantrags bestätigt wurde.
HIV ist in vielen Ländern kein Abschiebe-Hindernis
Schohe befürchtet, dass Sergej S. in der Ukraine weder eine adäquate HIV-Behandlung noch eine gute Substitutionstherapie erhält. Nach seiner Ansicht verkennt das Gericht, dass eine Opioidabhängigkeit laut neuester Richtlinie der Bundesärztekammer eine schwere chronische Krankheit darstellt, »die lebenslang behandelt werden muss«. Weil der Mediziner nicht will, dass Sergej S. seiner Drogensucht oder seiner HIV-Erkrankung erliegt, kämpft er für dessen Bleiberecht: »Wir versuchen, mit Verweis auf die Opioidabhängigkeit einen Folgeantrag zu stellen.«
»HIV ist in vielen Ländern kein Abschiebe-Hindernis mehr«, bestätigt Karin Strohhöfer von der Aidsberatung Mittelfranken. Noch vor zehn Jahren hätten viele HIV-infizierte Afrikaner in Deutschland bleiben dürfen, weil die medizinische Versorgung in ihrem Heimatland nicht gewährleistet war. Heute sehe man die Versorgung als gesichert an. Wobei es ein Unterschied sein könne, wie die Versorgung im Heimatland offiziell und wie sie möglicherweise inoffiziell ist: »Wir von der Beratungsstelle können das nicht einschätzen, wir waren ja nie vor Ort in Äthiopien oder der Ukraine.«
Medikamente für HIV-Patienten seien inzwischen fast überall zu bekommen, ergänzt Ute Häußler von der Augsburger Aidshilfe: »Allerdings oft nur in großen Städten und meist nicht kostenfrei.« Die Kosten der Therapie stellen nach ihrer Aussage einen wichtigen Duldungsgrund dar: »Denn in den Herkunftsländern ist auch ein Betrag von wenigen Dollar pro Monat nicht realisierbar.« Bei Klienten, die schon länger an die Augsburger Aidshilfe angebunden sind, habe deshalb eine Abschiebung in der Vergangenheit oft verhindert werden können.
Behandlung meist nur in der Hauptstadt möglich
Aktuell betreut die Augsburger Aidshilfe acht Flüchtlinge aus Eritrea, Nigeria, Burkina Faso und Uganda. Bei einer von Abschiebung bedrohten nigerianischen Familie konnte für die HIV-positive Frau unlängst eine Duldung aus humanitären Gründen durchgesetzt werden. Häußler: »Allerdings bekamen der Ehemann und die drei Kinder keinen Aufenthalt.« Eine weitere Klage laufe deshalb.
Hans Jäger, ärztlicher Leiter der HIV Schwerpunktpraxis München, hat ebenfalls immer wieder mit dem Thema Abschiebung zu tun. Bei 30 Prozent seiner Patienten handelt es sich um Flüchtlinge: »Die meisten stammen aus dem südlichen Afrika.« Laut Jäger sollte man diese Patienten nicht in ihr Heimatland abschieben - auch wenn die deutsche Botschaft meint, dass in einem bestimmten Land eine HIV-Behandlung »grundsätzlich« möglich wäre: »Doch das ist meist nur in der Hauptstadt der Fall.« Viele Patienten müssten bis zu acht Stunden mit dem Bus zur nächsten Notfallstation fahren, um behandelt zu werden.
Gesundheitssystem durch HIV-positive Flüchtlinge nicht belastet
In diesen Notfallstationen sei die medikamentöse HIV-Therapie teilweise »grenzwertig«. Vor allem mangele es an Therapiekontrollen: »Aber wir brauchen ein gutes Monitoring, um zu sehen, ob eine Behandlung Sinn macht.« Bei Patienten, die von Abschiebung bedroht sind, fordert die HIV Schwerpunktpraxis von den Behörden, die Stelle zu benennen, die eine Weiterbehandlung ermöglicht.
Doch selbst wenn es eine solche Stelle gibt, spricht sich der Münchner Mediziner gegen Abschiebungen von Flüchtlingen mit HIV aus. »Warum soll man Menschen in Länder schicken, die extrem stark mit der Problematik HIV belastet sind?«, fragt er. In Deutschland könnten die Patienten behandelt werden, ohne dass das Gesundheitssystem über Gebühr strapaziert werde. »Natürlich sind die Medikamente nicht billig«, räumt Jäger ein, »aber nennenswerte Belastungen entstehen durch geflüchtete Menschen mit HIV nicht«.