München (epd). Die Staatsanwaltschaft München I hat ihre Ermittlungsverfahren auf Grundlage des zweiten, vom Erzbistum München und Freising beauftragten, unabhängigen Missbrauchsgutachtens eingestellt. Die Ermittlungen hätten jeweils keinen hinreichenden Verdacht strafbaren Handelns der Personalverantwortlichen ergeben, teilte die Staatsanwaltschaft am Dienstag in München mit. Das Erzbistum bekräftigte "aus diesem Anlass" in einer schriftlichen Stellungnahme ihren "unbedingten Aufklärungswillen" und ihre "uneingeschränkte Kooperations- und Unterstützungsbereitschaft bei jeglicher staatlichen Ermittlung".

Dem vom Erzbistum selbst bei der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegebenen Missbrauchsgutachten zufolge gab es in den Jahren 1945 bis 2019 Hinweise auf mindestens 497 Betroffene sexualisierter Gewalt im Erzbistum. Die meisten Taten passierten von Anfang der 1960er bis Mitte der 1970er-Jahre. Anfang August 2021 stellte die Kanzlei WSW das Gutachten der Staatsanwaltschaft zur Verfügung, am 20. Januar 2022 stellte die Kanzlei die Ergebnisse der Öffentlichkeit vor. Die Staatsanwaltschaft hatte in sechs Ermittlungsverfahren geprüft, ob kirchliche Personalverantwortliche des Erzbistums durch aktives Tun oder Unterlassen Beihilfe geleistet hatten zu den im Gutachten gesammelten Fällen sexualisierter Gewalt.

In fünf der Fälle ergaben die Ermittlungen keine beihilfefähige Haupttat oder die Taten waren bereits verjährt, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. In zweien dieser Verfahren war unter den Beschuldigten auch der am 31. Dezember 2022 verstorbene Ex-Papst Benedikt XVI., der von 1977 bis 1982 Erzbischof in München war. Im Fall des Priesters G. ergab sich der Verdacht zweier nicht verjährter Haupttaten, die Anfang der 2000er-Jahre stattgefunden haben sollen. Als Personalverantwortliche kamen der frühere Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter und der frühere Generalvikar Gerhard Gruber in Betracht. Die beiden seien zunächst als Beschuldigte geführt worden, es ergaben sich jedoch keine Nachweise für strafbares Handeln.

Die Staatsanwaltschaft habe eine große Menge von Unterlagen der Erzdiözese ausgewertet, wie etwa Personalakten, Handakten und Protokolle der Ordinariatssitzungen. Außerdem wurden gut 30 Zeugen ermittelt und, soweit sie aussagebereit waren, vernommen. Bei Zeugenbefragungen im Fall G. habe es Hinweise auf ein Geheimarchiv sowie einen "Giftschrank" gegeben, in welchen sich brisante Unterlagen befinden könnten, so die Staatsanwaltschaft. Daraufhin durchsuchten Ermittler am 16. Februar 2023 den Amtssitz von Erzbischof Reinhard Marx und die Verwaltungszentrale des Erzbistums München und Freising. Ergebnis: der "Giftschrank" wurde 2011 aufgelöst und die Unterlagen daraus wurden zu den Personalakten gegeben.

Die Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag übte scharfe Kritik an Kirche und Staatsregierung. Der detaillierte Bericht der Staatsanwaltschaft München I zeige, dass die Kirchenverantwortlichen vom sexuellen Missbrauch durch Priester gewusst hätten. "Dass diese Fälle verjährt und damit strafrechtlich nicht mehr relevant sind, zeugt von Führungsversagen im Justizministerium", sagte die Grünen-Abgeordnete Gabriele Triebel. Sie forderte für Betroffene eine unabhängige Ombudsstelle, die "psychosoziale und juristische Beratung anbietet".

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