München (epd). Die Corona-Pandemie hat nach Einschätzung der Münchner Soziologin Elisabeth Wacker Menschen mit Behinderung extrem isoliert. "Menschen, die sonst selbstständig unterwegs sein konnten, mussten über Monate in den Wohneinrichtungen bleiben. Sie konnten nicht zur Arbeit, weil Werkstätten geschlossen waren, sie durften nicht einkaufen gehen und auch keinen Besuch bekommen", sagte die Wissenschaftlerin dem Evangelischen Pressedienst (epd) am Freitag. Die Einschränkungen hätten rund 200.000 Menschen mit Behinderung in Wohngruppen und Heimen betroffen.

Die Soziologin an der Technischen Universität München leitet eine bundesweite Feldstudie zu Corona-Folgen in der Eingliederungshilfe. Ergebnisse der Studie sollen nächste Woche öffentlich vorgestellt werden.

"Teilhabe und Selbstbestimmung waren praktisch eingefroren", erklärte Wacker. Einschränkungen in diesem Umfang dürften "nie wieder passieren", unterstrich sie. "Wir können nicht Menschen monatelang einsperren oder sie allein sterben lassen, weil das Gesundheitsamt dies für den Infektionsschutz angeordnet hat."

Auch den Verzicht auf gemeinsame Mahlzeiten in der Anfangszeit der Pandemie sieht die Expertin kritisch: "Das war hygienisch einwandfrei begründet, aber menschlich und psychisch sehr problematisch."

Auf die Mitarbeitenden in der Behindertenhilfe habe sich die Isolierung in der Pandemie ebenfalls massiv ausgewirkt. "Wir haben viel Überlast wahrgenommen", sagte die Professorin dem epd. Der permanente Aufenthalt der zu betreuenden Personen in den Wohneinrichtungen habe für die Fachkräfte zu überlangen Schichten geführt, ohne dass sie entsprechend entlastet worden seien.

Die Personaldecke in den Einrichtungen sei dünn, kritisiert Wacker und sagt: "Ich weiß nicht, wie dieses System noch lange funktionieren soll, wenn der Druck auf die verbleibenden Fachkräfte anhält."

Die Studie von Elisabeth Wacker und ihrem Team stützt sich auf rund 200 Interviews und Gesprächskreise in 19 Behinderteneinrichtungen unterschiedlicher Größe und Trägerschaft bundesweit. Befragt wurden nach den Angaben Bewohnerinnen und Bewohner, Leitungskräfte und Fachpersonal der Behindertenhilfe sowie Angehörige.