München (epd). Im vergangenen Jahr registrierte die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Bayern (RIAS Bayern) 422 antisemitische Vorfälle im Freistaat. Das seien 34 Fälle weniger als 2021, teilte RIAS am Montag bei der Vorstellung des Jahresberichtes 2022 in München mit. Es sei aber von einem großen Dunkelfeld auszugehen, hieß es weiter. Die Abnahme an bekannt gewordenen Fällen bedeute nicht, dass "der Antisemitismus" entsprechend weniger geworden sei.

Erstmals seit 2019 sei wieder ein Fall extremer Gewalt bekannt geworden: In der Silvesternacht von 2022 auf 2023 soll eine Person versucht haben, die ehemalige Synagoge im oberfränkischen Ermreuth in Brand zu setzen. Darüber hinaus dokumentierte RIAS Bayern drei Angriffe, 13 Bedrohungen, 30 gezielte, insbesondere gegen Gedenkzeichen und -orte gerichtete Sachbeschädigungen, 25 Massenzuschriften und 350 Fälle von verletzendem Verhalten.

Der Antisemitismus äußerte sich 2022 den Angaben zufolge etwa im Kontext von verschwörungsideologischen Protesten, des 50. Jahrestags des Olympia-Attentats in München und der Debatte um Antisemitismus im Kulturbereich. Bei verschwörungsideologischen Versammlungen wurden mit 161 Vorfällen deutlich mehr antisemitische Inhalte dokumentiert als 2021 (119 Vorfälle). Im Kontext des 50. Jahrestags des Olympia-Attentats waren es 17 antisemitische Vorfälle. Ein Security-Mitarbeiter zeigte israelischen Sportlern auf dem Olympia-Gelände den Hitlergruß; außerdem wurden antisemitische Leserbriefe in bayerischen Zeitungen abgedruckt.

In der Diskussion um das in München aufgeführte Theaterstück "Vögel", das unter anderem von jüdischen Studierendenverbänden kritisiert wurde, wurden 23 antisemitische Vorfälle dokumentiert.

"Antisemitismus zeigte sich 2022 in Bayern weiterhin als relativ niedrigschwelliges Alltagsphänomen, das heißt als eine grässliche gesellschaftliche Normalität", sagte RIAS-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpacı. Sehr häufig werde Antisemitismus im Zusammenhang mit der Erinnerung an die Schoah ausgelebt. Hier seien verschiedene politische oder gesellschaftliche Gruppen von einem "unterschiedlich begründeten Schlussstrichwunsch" geeint, sagte Seidel-Arpacı.

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