Maria Magdalena. Noch bei Dunkelheit hatte sie sich angezogen, das Salböl-Gefäß ertastet, ist aufgebrochen zum Grab vor der Stadt. Hat stolpernd den Weg gesucht.
Ihr Freund Jesus. Ihr Rabbi. Nie hätte sie gedacht, dass die Zeit mit ihm einmal so enden würde. Über Monate hatte sie ihn mit Freundinnen begleitet. Jesus und die Jünger und wer alles dazu gehörte. Keine Frage: auch sie gehörte dazu.
Er hat so klar gesprochen. Sie alle haben von ihm gelernt: Ein Leben für das Leben. Ein Leben ganz nah bei Gott für das wachsende Himmelreich.
So viele Glücksmomente haben sie geteilt: Wie Menschen zueinander finden, sich versöhnen. Jesus hat Menschen heil machen können. Auch sie. Sie hat es selbst erlebt.
Und es war immer klar: Keine Gewalt, Respekt…
Und dann in Jerusalem - es ging so schnell. Jesus am Kreuz. Sein Tod.
Schnell musste es gehen vor dem Schabbat. Eine Grabstelle suchen. Rasch - den noch warmen Körper reinigen. Wie zerschunden er war! Mit den Freundinnen die alten Handgriffe tun. Wie eine heilige Handlung. Der saubere Leinstoff bedeckt die Wunden. Aber nicht ihren Schmerz. Der bleibt. Sie trägt ihn mit zum Grab.
Wie das Salböl duftet! Das erste Licht färbt den Tag um sie herum. Nein, für sie wird es niemals wieder hell. Ihre Hoffnung liegt tief unten im Grab. Und genau da liegt er nicht mehr! "Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben." Maria weint.
Sie wünschen sich so sehr ein Kind, schon so lange – und sie werden und werden nicht schwanger. Sie haben viel versucht und durchlitten. Schon zweimal haben sie ein Sternenkind begraben. Ihre Kinder. Kein Leben. Der Traum von der eigenen Familie - gestorben. Maria weint.
Ich weiß von einem Mann. Er ist Witwer. Seine Frau ist gestorben. Schon vor einem Jahr. Traurig verkriecht er sich. Das Haus verlässt er kaum noch. Seine Tochter macht sich große Sorgen um ihn. Maria weint.
Ich sehe den Wahlkämpfer vor mir. Es ist noch nicht so lange her. Januar, Februar…Bundestagswahl. Da ging es ums Ganze. Auch schon in den Jahren davor. Jahrelange Arbeit in Gremien. Hinhören, Diskutieren, Zusammenhänge durchdringen, erklären und belegen. Dann kamen die, die einfach Ängste säen. Diese Saat geht schnell auf. Erstickt sie die Demokratie? Maria weint.
Und die Engel? Maria sieht sie. Sie hört sie sprechen. – und doch sieht, versteht sie nichts. Sie erkennt die Engel nicht. Wieso Licht? Es ist doch alles nur finster und traurig. Der Leichnam fehlt. Im Grab ist er nicht. Also weitersuchen. Maria wendet sich um.
Überschwängliche Freude
Spricht Jesus zu ihr: Maria. Maximale Überraschung. Da steht Jesus lebendig vor ihr. Als sie ihren Namen hört - erkennt sie ihn. Mit einem Mal dreht sich die Geschichte um 180 Grad. Die Tränen sind noch nicht getrocknet und Maria ist die größte Freude ins Gesicht geschrieben. Mein Rabbi, mein Meister. Er lebt.
Natürlich, denke ich. Es ist ja Ostern. Kenn ich. In dieser Erzählung bin ich geübt. Als Christinnen und Christen rechnen wir hier in der Geschichte mit der Auferstehung. Maria nicht. Maria rechnet nicht mit der Auferstehung. Für sie geschieht das alles völlig überraschend, aus dem Nichts heraus: Ein nie erlebter Glücksmoment! Jesus ist wieder da. Sie kann es nicht fassen. Es ist Ostern geworden.
Ostermomente
"Sie haben doch immer viel Musik gemacht…" Der trauernde Witwer dreht sich um. Sein Arzt steht da und spricht ihn an: "Wollen Sie nicht einmal zur Jamsession kommen? Wir machen da Musik. Im Bunten Haus."
Das Bunte Haus ist hier gleich nebenan das ehemalige Gemeindehaus. Wir haben es für die ganze Stadt geöffnet. Jeden Tag begegnen sich dort viele Menschen.
Der Mann ist tatsächlich hingegangen zur Jamsession. Zusammen mit seiner Tochter. Nur zum Zuhören. An diesem Abend fasst er einen Entschluss. Er lässt sein Akkordeon richten und beginnt wieder zu spielen. Erstmal nur daheim, nur für sich. Und dann: Bei der nächsten Jamsession steht er mit zwei Musikerfreunden auf der Bühne. Wieder da. Das Leben ist in seine Finger zurückgekehrt. Wunderbare Musik. Alle die um seine Geschichte wissen, können in diesem Moment die Tränen kaum zurückhalten. Ein sehr irdisches Ostererlebnis.
Auch für das junge Paar wurde es tatsächlich Ostern. Sie wissen nicht wirklich wie. Aber irgendwann ist die Frau erneut schwanger geworden. Die Wochen vergehen, und es wird immer sicherer: dem Kind geht’s gut. Sie bringt ein Mädchen gesund zur Welt. Und Mutter und Vater weinen: Tränen des Glücks und der Freude.
Ich erinnere mich an die letzte Veranstaltung der langen Nacht der Demokratie: am Schluss kommen wir zum Friedensgebet zusammen. Ich sehe sie noch hier vorne in der Kirche stehen: Die Pfarrerin, die Pastoralreferentin und den Imam aus der Moschee. Seite an Seite beten sie: Gott, gib Frieden in unseren Tagen. Aus vollem Herzen antworten die Besucherinnen und Besucher mit ihrem Gesang. Das hat mich glücklich gemacht. Zu sehen: Wir sind so viele, die das Gleiche wollen, friedliches Zusammenleben in einer starken Demokratie. Das lässt mich hoffen. Dietrich Bonhoeffer hat es so gesagt: Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln."
Ich bin so froh und dankbar, dass es diese Ostermomente gibt. Wir haben hier heute ein paar davon für Sie gesammelt und davon erzählt. Wenn Sie ein bisschen forschen, werden Sie sicher auch Ihre persönlichen Ostermomente finden. Wo sie gemerkt haben, es geht überraschenderweise auch anders. Es geht weiter. Es gibt neues Leben im alten.
Die Nachrichten, die jeden Tag auf uns einströmen, sprechen oft dagegen. Die rasanten politischen Veränderungen machen es manchmal schwer, die gute Zukunft zu sehen. Aber trotzdem. Jetzt erst recht. Umso mehr brauche ich die Ostermomente. Die ich selbst erlebe und die ich miterlebe. Hoffentlich auch heute und an diesen Osterfeiertagen. Wer Ostern kennt, kann nicht verzweifeln.
So hat Dietrich Bonhoeffer vertraut: "Der auferstandene Christus trägt die neue Menschheit in sich, das letzte herrliche Ja Gottes zum neuen Menschen. Zwar lebt die Menschheit noch im Alten, aber sie ist schon über das Alte hinaus, zwar lebt sie noch in einer Welt des Todes, aber sie ist schon über den Tod hinaus, ... . Die Nacht ist noch nicht vorüber, aber es tagt schon."[1]
Wahrhaftig auferstanden
Was Maria hier erlebt – das ist auch meine Hoffnung, wenn ich an den Tod denke: Ich hoffe, wir werden einander wieder begegnen und wir werden uns wiedererkennen. Neu, anders, auferstanden…
Das geschieht manchmal schon jetzt. Vielleicht kennen Sie das: So einen geheimnisvollen Moment der Wiederbegegnung mit einem Verstorbenen.
"Im Traum war meine Mutter bei mir", erzählt mir eine Frau. "Und es war ganz anders als sonst. Entspannt. Die Mama hat mich so offen und lieb angeschaut und mir zugenickt. Da wusste ich: Es ist in Ordnung jetzt. Egal was war. Es ist gut." Sagt sie.
Oder die junge Frau, deren Vater gestorben ist, bevor ihr Kind zur Welt gekommen ist – und er hätte so gerne seinen Enkel noch kennen gelernt. "Der Kleine war ein paar Wochen alt", erzählt sie, "da war mein Papa mit einem Mal da, nachts im Traum. Ich hab ihm den Kleinen hingehalten. Und hab gesagt, ‚Schau, Papa, das ist der Anian.‘
Und wir haben gelacht. Alle drei."
Ganz da, ganz nah sind solche Auferstehungs-Begegnungen, meistens einmalig. Nicht zum Festhalten. Kostbar und zart.
Rühr mich nicht an, sagt Jesus zu Maria Magdalena: Halte mich nicht fest. Geh! Und Maria geht. Sie sieht Jesus danach nicht wieder.
Mir gefällt der Gedanke, dass selbst die Zeugin der Auferstehung sehr schnell wieder ins Leben zurückmuss, in ihren Alltag.
Kaum hat sie begriffen, was geschehen ist, ist es auch schon wieder vorbei.
Aber Maria geht anders aus dem Garten, als sie hinein gegangen ist. Sie hat etwas erlebt, das gibt ihr einen neuen Blick aufs Leben. Und sie findet Worte dafür.
Der Herr ist auferstanden.
Er ist wahrhaftig auferstanden.
Es gibt so eine Tür zum Leben. Und die steht offen, das weiß Maria nun. Auch zu ihrem weiteren, neuen Leben steht die Tür offen.
Mit himmlischem Energieschub geht Maria los.
Ich sehe ihre fliegenden Schritte vor mir. Schnell, sie springt und lacht vor Glück: Denn sie hat ihren Herrn gesehen. Das soll jeder wissen.
"Spar nicht mit deinem Glück. Das muss raus.", hör ich Maria uns zurufen. Das Grab ist leer. Gott schenkt Leben. Weitersagen. Teilt und feiert eure Glücksmomente, eure Gottesnähe. Weil Du spürst: "Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen." Amen.
[1] Dietrich Bonhoeffer, Ethik. Chr. Kaiser Verlag, München: 3. Auflage 1956, Seite 23.
Hinweis
Diese Predigt stammt aus dem Rundfunkgottesdienst aus der Apostelkirche in Miesbach am 20. April 2025. Dieser wird von BR 1 ab 10 Uhr übertragen.
Kommentare
Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.
Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.
Anmelden