Das Bild der bayerischen Pfarrer*innen wandelt sich. Im Rahmen der neuen umfassenden Stellenplanung in der Landeskirche sollten die alten Schablonen, dass sie alles machen und alles können, überwunden werden, sagte Oberkirchenrat Michael Martin im epd-Gespräch.

Deshalb sollten auch die Pfarrerinnen und Pfarrer stärker ihr Berufsbild reflektieren und deutlich machen, was ihre ganz spezifischen Qualifikationen sind - in Theologie, Verwaltung, Leitung oder dem Verhältnis zu den Ehrenamtlichen in der Kirche.

Einzelne Funktionen sollen "berufsübergreifend" besetzt werden

Das neue Personalkonzept, bei dem die Landeskirche das theologische Personal in Bayern verteilt, sieht auch die Möglichkeit vor, einzelne Funktionen "berufsbergreifend" zu besetzen.

Wenn beispielsweise Diakone stärker in der Pfarramtsführung einer Gemeinde eingesetzt werden, könnten dadurch die Pfarrer von Verwaltungstätigkeiten für ihre Kernaufgaben, wie der Seelsorge, entlastet werden, erläutert Oberkirchenrat Martin.

Wer die Qualifikationen dafür hat, wie etwa ein Verwaltungsdiakon, könne auch mit einer Leitungsfunktion betraut werden. Das sei für die Kirche "enorm hilfreich" und entspreche einem an den jeweiligen Gaben der Mitarbeitenden orientierten Einsatz. "Da sind wir aber noch ganz am Anfang", sagte der Oberkirchenrat.

Bayerische Kirchengemeinden sollen intensiv beraten werden

Der nächsten Schritt der Landesstellenplanung, die eine Zielgröße von 1.900 theologischen und theologisch-pädagogischen Stellen in Bayern hat und bis 2025 umgesetzt sein soll, ist Martin zufolge eine intensive Beratung der rund 1.530 bayerischen Kirchengemeinden.

Denn sie müssten sich klarwerden, was an kirchlichen Aufgaben und Angeboten in ihrem jeweiligen Bereich sinnvoll ist, und dafür die nötigen Qualifikationen und Kompetenzen der Hauptamtlichen suchen.

Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die einzelnen kirchlichen Berufsgruppen, wie Pfarrer, Diakone, Religionspädagogen oder Kirchenmusiker ganz klare eigene Berufsprofile ausbilden und diese speziellen Qualifikationen und Kompetenzen in berufsübergreifende Tams einbringen.

Außerdem müssten die Rahmenbedingungen in den unterschiedlichen kirchlichen Berufen, wie etwa die Arbeitszeiten, angeglichen werden. 

Pfarrer sollen mehr Zeit für ihre Kernaufgaben haben

Neue berufliche Perspektiven in der Kirche bringt die Landesstellenplanung, mit der das theologische Personal, wie etwa die Pfarrerinnen und Pfarrer, in Bayern neu verteilt werden.

Da Stellen auch "berufsübergreifend" besetzt werden, können die Pfarrer von Verwaltungsaufgaben entlastet werden, weshalb sie wieder mehr Zeit für ihre eigentlichen Kernaufgaben haben, wie Oberkirchenrat Michael Martin in dem epd-Gespräch erläutert.

Außerdem betont der Theologe, der in der evangelischen Landeskirche für den Bereich der Ökumene zuständig ist, dass die Kirchen nur im gemeinsamen Miteinander eine Zukunft haben, dass der ökumenische Weg unumkehrbar ist.

Das gesamte Interview mit Oberkirchenrat Michael Martin

Ein Kernelement der neuen Landesstellenplanung ist die Möglichkeit, dass Positionen jetzt auch berufsgruppenübergreifend besetzt werden können, also mit einer Pfarrerin, einem Diakon, einer Religionspädagogin oder einem Kirchenmusiker. In der öffentlichen Wahrnehmung und den innerkirchlichen Diskussionen stehen aber vor allem die Pfarrerinnen und Pfarrer im Blickpunkt.

Martin: Wie Studien in großer Regelmäßigkeit zeigen, wird die Kirche von außen hauptsächlich durch den Pfarrer und die Pfarrerin wahrgenommen. Je weiter Menschen von der Kerngemeinde entfernt sind, desto größer ist ihre Identifikation mit dem Ortspfarrer. Eine Kenntnis über die Arbeit und die Qualifikation des Pfarrberufs ist hingegen eher gering. Im Rahmen der Landesstellenplanung müssen wir deshalb wegkommen von den alten Schablonen und Vorurteilen, dass ein Pfarrer alles macht und alles kann und letztlich auch für alles zuständig ist. Dafür müssen aber auch die Pfarrerinnen und Pfarrer stärker ihr Berufsbild reflektieren und deutlich machen, was ihre ganz spezifischen Qualifikationen sind - in Theologie, Verwaltung, Leitung oder dem Verhältnis zu Ehrenamtlichen.

Das gilt aber doch auch für andere kirchliche Berufe.

Martin: Diese Diffusität sehen wir vor allem bei den Diakonen und Diakoninnen. Selbst das Diakonengesetz macht nicht klar, worüber wir bei dem Diakonenamt eigentlich sprechen. Ist es das altkirchliche Diakonenamt, das römisch-katholische Durchgangsamt zum Priester oder ein Amt mit ausdrücklich diakonischem Profil? Dazu kommt noch, dass die Diakoninnen und Diakone in unserer Kirche drei verschiedene Ausbildungsrichtungen und berufliche Ausrichtungen haben - als Sozialpädagogen, in der Krankenpflege oder in der Verwaltung.

Welche Auswirkungen hat das auf das berufsübergreifende Miteinander?

Martin: Das Miteinander der Berufsgruppen kann nur gelingen, wenn die einzelnen Berufe ganz klare eigene Berufsprofile ausbilden und diese speziellen Qualifikationen und Kompetenzen in einen berufsübergreifenden Verbund, beispielsweise in einer Gemeinde, einbringen. Das ist vergleichbar mit den Erfahrungen aus der Ökumene. Denn der ökumenische Dialog klappt dort am besten, wo die Partner sich von einem klaren eigenen Standpunkt aus begegnen. Deshalb sind für die Berufsgruppen noch Klärungsprozesse zum jeweils eigenen Profil nötig als Voraussetzung für ein gelingendes berufsübergreifendes Miteinander.

Wie könnte das konkret aussehen, was ist zu tun?

Martin: Um es mit einem Beispiel deutlich zu machen: Wenn wir nicht mehr davon ausgehen, dass die Pfarrer alles können müssen und sollen, wird es z.B. zweckmäßig sein, einem Religionspädagogen, einer Religionspädagogin im Vikariat die Mentorenschaft für den Religionsunterricht zu übertragen, die dafür eine viel bessere Ausbildung haben. Ein Problem, das noch angegangen werden muss, sind die unterschiedlichen Rahmenbedingungen, wie etwa die Arbeitszeiten, der verschiedenen Berufsgruppen. Wenn beispielsweise eine Pfarrstelle berufsbergreifend mit einem Diakon besetzt ist und dieser eine Konfirmanden-Freizeit am Wochenende leitet, dann hat er zwingend in der folgenden Woche zwei Tage frei. Das ist natürlich für Pfarrer völlig anders. So etwas kann dann zu Schwierigkeiten gerade beim Miteinander in einer Gemeinde oder einem Dekanatsbezirk führen. Wir brauchen aber auch eine Angleichung der Gehälter, wenn beispielsweise eine Religionspädagogin die Geschäftsführung im Pfarramt leistet.

Ist diese Möglichkeit für Leitungsfunktionen überhaupt realistisch?

Martin: Wer die Qualifikationen dafür hat, wie etwa ein Verwaltungsdiakon, kann auch mit einer Leitungsfunktion betraut werden. Das ist für unsere Kirche nach meiner festen Überzeugung enorm hilfreich und entspricht einem an den jeweiligen Gaben orientierten Einsatz. Die anderen Mitglieder eines berufsübergreifenden Teams können dann auch entsprechend ihrer Fähigkeiten und der Bedürfnisse an ihrer Stelle arbeiten. Die Pfarrer hätten beispielsweise mehr Zeit für Seelsorge, wenn ein Diakon die Verwaltung und Leitung der Gemeinde übernimmt. Da sind wir aber noch ganz am Anfang.

Was sind für Sie die nächsten Schritte auf dem Weg der Landesstellenplanung?

Martin: Wenn jetzt bis zu 20 Prozent der Stellen berufsgruppenübergreifend besetzt werden können, müssen die Gremien der Dekanatsbezirke wissen, was sie entscheiden können und wollen und müssen dafür instandgesetzt werden. Das heißt, sie sollten sich zuerst klarwerden, was an kirchlichen Aufgaben und Angeboten in ihrem Bereich sinnvoll und nötig ist und dann in einem zweiten Schritt passgenau dafür die Stellenzuschnitte und die nötigen Qualifikationen und Kompetenzen der Hauptamtlichen suchen und dabei berufsübergreifend vorgehen. Dafür brauchen sie eine intensive Begleitung und Beratung, die wir von kirchlichen Einrichtungen wie dem Amt für Gemeindedienst, der Gemeindeakademie und dem Amt für Jugendarbeit, aber auch vom Landeskirchenmusikdirektor anbieten.
Trotz aller möglichen Probleme im Detail bin ich aber davon überzeugt, dass die Landesstellenplanung in dieser Form absolut richtig ist - vor allem, weil jetzt, nachdem die Stellenkontingente von der Landessynode beschlossen worden sind, die Entscheidungen über Besetzungen in der Region fallen und nicht an einem grünen Tisch kirchenleitender Organe. Klar ist aber auch, dass mit der Gestaltungsmöglichkeit zugleich auch die Verantwortung auf die mittlere Ebene, auf die Dekanatsbezirke, wandert. Es sind dann nicht mehr "die in München", die für mögliche Fehlentscheidungen behaftet werden können.

Die Kirche agiert ja nicht im luftleeren Raum. Während die evangelische Kirche vor einem einschneidenden Umbruch auf allen Ebenen steht, scheint die römisch-katholische Kirche als ihr wichtigster ökumenischer Partner geradezu in schweren Turbulenzen.

Martin: Zunächst ist mir die Bemerkung ganz wichtig, dass uns der Missbrauchsskandal, unter dem die römisch-katholische Kirche leidet, ebenso betrifft - auch wenn in der evangelischen Kirche die Zahlen erheblich niedriger sind. Außerdem werden wir in der Öffentlichkeit gemeinsam und undifferenziert mit den Katholiken als Kirche wahrgenommen, wir sitzen also in einem Boot. Neu und gravierend sind allerdings nach meiner Einschätzung die tiefen Verwerfungen in der römisch-katholischen Kirche, wenn etwa der Episkopat vor laufenden Kameras Kontroversen austrägt. Geradezu als sensationell empfand ich die Antwort des Papstes auf das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx. Denn darin schreibt der Papst zum ersten Mal, dass Bischöfe, ja die gesamte Kirche, gesündigt haben. Bisher wurde immer fest gehalten, dass zwar einzelne Menschen in der Kirche sündigen, die Kirche selbst aber ohne Sünde ist. Nach meiner Einschätzung ist die römisch-katholische Kirche in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess, die kulturellen Gräben in der Weltkirche werden tiefer.

Und wie ist der Stand der Ökumene in Deutschland, läuft sie nach wie vor an der Basis gut und auf kirchenleitender Ebene eher mäßig?

Martin: Das stimmt so pauschal nicht. Denn die Basis ist nicht einheitlich, es gibt beispielsweise in der römisch-katholischen Kirche Laien-Gruppierungen, die ihre Bischöfe wegen ökumenischer Gottesdienste sofort in Rom denunzieren. In den Kirchenleitungen läuft Ökumene hingegen oft sehr konstruktiv. Insgesamt bin ich aber sehr zuversichtlich, dass der eingeschlagene ökumenische Weg unumkehrbar ist. Denn durch Abgrenzung wird niemand gewinnen, die Zukunft der Kirche ist nur eine Kirche des ökumenischen Miteinanders.