Die bayerische Landeskirche will sich neu aufstellen und mit neuen Wegen wieder mehr Menschen erreichen. Dabei wird sich auch das Berufsbild der Pfarrerinnen und Pfarrer im Rahmen einer neuen bayernweiten Stellenplanung ändern.
Die große Aufgabe der Theologen müsse es sein, mit vielen inzwischen kirchenfernen Menschen "überhaupt einen Erstkontakt aufzubauen", sagte der kirchliche Personalchef Stefan Reimers im Gespräch mit sonntagsblatt.de.
Traditionelle Zuständigkeits- und Gemeindegrenzen sollen aufgehoben werden
Deshalb sollten sich die Pfarrer und die Kirche insgesamt verabschieden von traditionellen Zuständigkeits- und Gemeindegrenzen, und dafür mehr in sozialen Räumen und Netzwerken denken.
Wie Reimers als Beispiel nannte, bekommt eine Pfarrerin im Pflegeheim dann nicht erst Kontakt zur Familie beim Todesfall ihres Angehörigen, sondern bereits vorher. Mehr Zeit sollen die Pfarrerinnen und Pfarrer auch für den schulischen Religionsunterricht haben.
Zwanzig Prozent der Stellen könnten "berufsübergreifend" besetzt werden
Für ihre Kernaufgaben können die Pfarrerinnen und Pfarrer von Verwaltungsfunktionen entlastet werden, erläutert Oberkirchenrat Reimers. Deshalb ermögliche die Landesstellenplanung auch die berufsübergreifende Besetzung von Stellen, wodurch beispielsweise auch ein Diakon eine Pfarramtsführung übernehmen könne.
Zwanzig Prozent der Stellen können auf diese Weise "berufsübergreifend" mit Pfarrern, Religionspädagoginnen, Diakonen oder Kirchenmusikerinnen besetzt werden. Die Entscheidung darüber liege zum ersten Mal bei der "mittleren Ebene" wie den Dekanaten, weil sie am besten wisse, welche kirchlichen Qualifikationen und Kompetenzen in der jeweiligen Region gebraucht würden.
Der kirchliche Personalchef Stefan Reimers im Interview
Die Landeskirche sortiert sich gerade mit einer umfassenden Stellenplanung neu. Kam da die Corona-Pandemie dazwischen?
Stefan Reimers: Die Pandemie hat die Landesstellenplanung nicht verändert, sondern lediglich verzögert. Denn die Entscheidungs- und Informationswege waren schwieriger, etwa in der Landessynode, die nicht in gewohnter Weise zusammenkommen und Entschlüsse fällen konnte. Allerdings hat Corona die inhaltlichen Entscheidungen nicht tangiert. Grundsätzlich gilt sowieso: Unsere Kirche ist auf ausreichendes und qualifiziertes Personal angewiesen, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen und so ihre Botschaft vermitteln zu können.
In den letzten zehn Jahren gab es aber in der Kirche einschneidende Änderungen, allein schon, weil die Zahlen kontinuierlich zurückgegangen sind, weil Kirche an Relevanz verloren hat.
Reimers: Genau aus diesem Grund ist es sogar noch wichtiger, dass wir sehr qualifiziertes Personal haben, wozu nicht nur die Pfarrerinnen und Pfarrer, sondern alle kirchlichen Berufsgruppen gehören. Denn es ist nicht mehr selbstverständlich, dass Menschen Mitglieder der Kirche sind und automatische Berührungspunkte mit uns haben. Auch zur Konfirmation kommt heute an manchen Orten nur noch ein halber Jahrgang. Deshalb wird es unsere große Aufgabe sein, mit vielen Menschen überhaupt einen Erstkontakt aufzubauen.
Wie kann das gehen?
Reimers: Wir brauchen eine neue Perspektive, da wir mit unseren traditionellen Angeboten bei weitem nicht mehr so viele Menschen erreichen, wie wir uns das vorstellen. Es geht aber nicht nur um neue Veranstaltungsangebote, sondern vor allem darum, mit vielen Menschen über unseren Glauben selbstbewusst ins Gespräch zu kommen. Nicht nur durch die Hauptamtlichen, sondern als Anliegen aller Gemeindeglieder in ihrem jeweiligen Umfeld, im Büro oder im Sportverein, in der Nachbarschaft oder in der Schule. Unser Christsein zum Thema machen mitten im Alltagsleben, und nicht nur in spezifischen Veranstaltungen - das sehe ich als große Herausforderung und Chance.
Wie soll das in der Praxis aussehen?
Reimers: Ganz im Sinne des großen Reformprojekts "Profil und Konzentration", dem es vor allem darum geht, unterschiedlichste Zugänge zu Gott und zu den Menschen zu gestalten. Wir müssen uns zum Beispiel verabschieden von unseren traditionellen Zuständigkeits- oder Gemeindegrenzen, und mehr in Räumen und Netzwerken denken. Ein Beispiel: Ein Pfarrer oder eine Pfarrerin im Pflegeheim wird nicht nur einen alten Menschen betreuen, sondern die ganze Familie dieses Menschen, in dem er oder sie vielleicht zwei Mal im Jahr einen Newsletter zu aktuellen Angeboten oder Fragen an die Angehörigen schreibt, und auch ihnen mit ihren Nöten und Sorgen ganz selbstverständlich zur Verfügung steht. Zum generationenübergreifenden Kontakt mit der Familie kommt es dann nicht erst und ein einziges Mal beim Tod ihres Angehörigen.
Über den Religionsunterricht hätte die Kirche sogar einen strukturierten Zugang zu Kindern und Jugendlichen. Für manche Pfarrer ist die Schule allerdings eine lästige Zusatzbelastung.
Reimers: In der Tat ist der Religionsunterricht für uns eine ganz wichtige Kontaktfläche, die wir intensivieren wollen. Deshalb sind im Rahmen der Landesstellenplanung 25 Prozent des Zeitbudgets der Pfarrerinnen und Pfarrer für den Religionsunterricht vorgesehen. Das ermöglicht ihnen nicht nur eine sorgfältige Vorbereitung, sondern auch mehr Präsenz im Lehrerzimmer, bei schulischen Veranstaltungen oder im sozialen und familiären Umfeld der Schülerinnen und Schüler. Aus meiner Sicht ist das Gemeindearbeit pur.
….dann müssen die Pfarrerinnen und Pfarrer aber an anderer Stelle entlastet werden …
Reimers: Ja, das ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Landesstellenplanung im Zusammenhang des Miteinanders der Berufsgruppen, zum Beispiel in der Verwaltung. Pfarrerinnen und Pfarrer müssen nicht automatisch die Pfarramtsführung übernehmen oder die Verwaltung einer Kita, wenn sie vor allem mit Menschen Kontakt aufbauen wollen. Gemeinden können und müssen sie sich viel mehr zu Zweckverbänden zusammenschließen, andere Berufsgruppen, zum Beispiel Verwaltungsdiakone und -diakoninnen sind bestens ausgebildet für Verwaltung oder Pfarramtsführung. Eine Voraussetzung dafür ist die neu geschaffene Möglichkeit, dass im Rahmen der Landesstellenplanung 20 Prozent der Stellen, je nach konzeptioneller Entscheidung, auch berufsübergreifend, also mit Pfarrern und Pfarrerinnen, Diakonen und Diakoninnen, Religionspädagogen oder -pädagoginnen oder auch Kirchenmusikern und -musikerinnen besetzt werden können.
Führt das nicht zu einer Nivellierung, insbesondere des Pfarrberufs, und der hierarchischen Zuordnung?
Reimers: Diese Befürchtung teile ich nicht. Unterschiedliche Berufsgruppen, Qualifikationen, Kompetenzen und damit auch unterschiedliche Aufgaben machen die Vielfalt unserer kirchlichen Arbeitswelt aus. Pfarrerinnen und Pfarrer haben immer eine theologisch kompetente Leitungsrolle in unserer Kirche und den Gemeinden, und prägen damit ganz intensiv den Weg unserer Kirche. Andere Berufsgruppen bringen genauso ihre jeweiligen Qualifikationen ein.
Soll also in Zukunft in der Kirche jeder alles machen können?
Reimers: Gerade nicht. Es muss und wird auch weiterhin unterschiedliche Berufe in unserer Kirche geben, weil Menschen unterschiedliche berufliche Wege brauchen. Außerdem können wir durch vielfältige berufliche Profile auch unterschiedliche Menschen mit unserer Botschaft in Kontakt bringen, was ja der Kernpunkt aller Reformbemühungen ist. Die konkrete Entscheidung darüber, wer für welche Aufgabe im Rahmen einer inhaltlichen Konzeption gerade gebraucht wird, liegt ganz stark bei der Mittleren Ebene, also vor allem in den Dekanatsbezirken.
Sie sind gerade bei einer Neugestaltung der theologischen Ausbildung. Spielt da dieses Konzept bereits eine Rolle?
Reimers: Natürlich. Das Zweite Examen zum Beispiel, also die Abschlussprüfung für die angehenden Pfarrerinnen und Pfarrer, soll nicht mehr als ein großer Block absolviert werden, bei dem alles zusammenläuft und wo dann alles zu einem Zeitpunkt gelingen oder auch scheitern kann. Sondern wir entwickeln Prüfungsformate nach den einzelnen inhaltlichen Schwerpunktphasen. Damit ist auch die Möglichkeit verbunden, nach einer solchen inhaltlichen Prüfung weitere Schritte der Vertiefung zu gehen, und nicht einfach nur ein abschließendes Urteil zu erhalten. Wir brauchen überhaupt in unserer Kirche nicht so viele abschließende Urteile oder Beurteilungen, sondern ganz viele individuelle und gemeinschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten.
Für diese Ausbildung müssen Sie aber erst einmal junge Menschen gewinnen. Die Nachwuchssituation in der Kirche ist ja nicht gerade rosig.
Reimers: Bedauerlicherweise nehmen zu wenige junge Leute das Theologiestudium auf. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass es zu einer Trendwende kommen kann. Meine Zuversicht stützt sich darauf, dass es nicht nur auf Dauer sichere Arbeitsplätze bei uns gibt, sondern dass wir Berufe mit einer großen Gestaltungsmöglichkeit bieten, in denen sich Menschen verwirklichen können. Das ist richtig viel wert.
Das Problem bei großen konzeptionellen Entwürfen liegt häufig im Detail. Wie sieht der Zeitplan der Landesstellenplanung aus?
Reimers: Der Zeitplan ist ganz unterschiedlich. Es gibt Dekanate, die möglichst sofort über ihre Stellen entscheiden wollen. Das muss aber gar nicht sofort sein. Denn es ist vor allem wichtig, sich genug Zeit zu lassen, um die verfügbaren Stellen in einer Region mit einer klugen inhaltlichen Konzeption zu verknüpfen. Da ist es gut, in Ruhe zu überlegen, was wo sinnvoll ist und gebraucht wird. Deshalb läuft auch der Umsetzungszeitraum der Landesstellenplanung bis 2025.
Bleibt die Zielgröße von 1.900 theologischen und theologisch-pädagogischen Stellen?
Reimers: An dieser Zielgröße orientieren wir uns. Sie ist aber abhängig von der Mitglieder-Entwicklung, die wesentlich die Finanzkraft der Kirche ausmacht, und der Zahl der Mitarbeitenden. Wir stehen vor der Herausforderung, dass in den kommenden zehn Jahren ein großer Teil unserer Mitarbeitenden in Ruhestand gehen wird, und werden jedenfalls nicht viel mehr Stellen anbieten, als Mitarbeitende potentiell dafür zur Verfügung stehen. Denn es wäre das schlimmste, wenn Stellen lange Zeit freibleiben, weil sie nicht besetzt werden können. Das führt unweigerlich zu Frustration in den Gemeinden und macht auch eine sichere Planung unmöglich. Das grundlegende Ziel muss sein, so viele Mitarbeitende wie möglich in der konkreten Arbeit mit Menschen einsetzen zu können.
Für die dauerhafte Finanzierung der Personalstellen, insbesondere der Pfarrerinnen und Pfarrer, spielen auch die Versorgungsleistungen, wie etwa Pensionen, eine große Rolle. Wie ist der Stand nach den teils kontroversen Diskussionen in der Vergangenheit?
Reimers: Vorausschicken will ich zum einen, dass dieses Thema nichts mit der Landesstellenplanung zu tun hat. Zum anderen ist auch klar, dass die öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnisse - etwa für Pfarrer und Pfarrerinnen und Diakone und Diakoninnen - auch die entsprechenden Versorgungsleistungen nach sich ziehen. Da sind wir eine verlässliche Arbeitgeberin.
Keine Frage ist allerdings auch, dass es bei diesem Thema um Hunderte von Millionen Euro geht. Deshalb halte ich die Diskussion auch für völlig legitim, ob wir künftig an öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnissen in der Kirche festhalten müssen. Sie hat bereits in anderen Landeskirchen oder auf Ebene der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) begonnen. Bei allen Überlegungen muss es immer darum gehen, wie unsere Kirche theologisch, menschlich und finanziell handlungsfähig bleibt, wie sie ihren Auftrag erfüllen kann, und wie sie für junge und engagierte Mitarbeitende und deren Vorstellungen von Lebensgestaltung attraktiv bleibt - auch mit knapperen Kassen und mitten in gesellschaftlichen Umbrüchen haben wir da ganz viele Gestaltungsmöglichkeiten!