Detlev Zanders Ziel ist klar: Kein Kind soll je wieder erleben, was ihm und Tausenden anderen passiert ist. Als Kind wurde Zander jahrelang im Kinderheim der evangelischen Brüdergemeinde Korntal missbraucht, vergewaltigt, geschlagen. Heute ist der 62-Jährige Sprecher des Beteiligungsforums Sexualisierte Gewalt (BeFo) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) - und Gast bei der Frühjahrstagung der bayerischen Landessynode in Coburg ab 21. April.
Schwerpunkt auf bislang gefassten Beschlüsse zur Missbrauchsprävention
Dort steht der Umgang mit der Ende Januar veröffentlichten ForuM-Studie zur sexualisierten Gewalt in der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie einen Tag lang im Zentrum. Denn die bayerischen Protestanten sind auf der Suche nach dem richtigen Kurs in dieser Frage. Die Studie spricht von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern. 129 beschuldigte Personen hatte die bayerische Landeskirche im Zeitraum 1917 bis 2020 für die Studie identifiziert. Das ForuM-Forschungsteam geht deutschlandweit von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus.
Sind die Aufklärungsarbeit und die bislang gefassten Beschlüsse zur Missbrauchsprävention ausreichend, oder muss nachgeschärft werden? Auch darum soll es bei der Landessynode in Coburg gehen. Vor allem am ersten Sitzungstag (22. April) werden sich die 108 Synodalen mit der ForuM-Studie auseinandersetzen. Synodenpräsidentin Annekathrin Preidel will in ihrem Bericht am Vormittag auf das Thema eingehen, auch Landesbischof Christian Kopp setzt in seinem Bericht einen Schwerpunkt auf das Thema. Dabei haben auch zwei Missbrauchsbetroffene das Wort: Detlev Zander, der heute im niederbayerischen Plattling lebt, und Karin Krapp, die heute evangelische Pfarrerin in Weimar ist. Beide sind Mitglied im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo) der EKD, Detlev Zander ist Sprecher des Gremiums.
Betroffene Personen Im Vordergrund
Den Betroffenen gehe es um Gerechtigkeit, sagte Zander im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Verantwortliche in der Kirche würden schnell vergessen, dass hinter jedem einzelnen Missbrauchsfall eine zerstörte Biografie stehe.
"Der Kirche fehlt der wirkliche Wille zur Aufklärung",
konstatierte Zander aus seiner jahrelangen Erfahrung im Betroffenengremium. Am Synodenmontag sind Krapp und Zander eingeladen, abends die synodalen Arbeitskreise zu besuchen, um über die Arbeit des BeFo zu informieren.
Das BeFo erarbeitet derzeit Empfehlungen für das weitere Vorgehen nach der ForuM-Studie, die bei der EKD-Synode im November vorgelegt werden sollen. Die bayerische Landessynode steht deshalb unter Zeitdruck, denn ihre nächste Tagung findet ebenfalls erst im November statt. Landesbischof Kopp betonte dennoch, dass bei der Frühjahrssitzung in Coburg noch nichts beschlossen werde:
"Das wäre genau das, was die betroffenen Personen uns als Spiegel vorgehalten haben: 'Ihr entscheidet für euch, anstatt mit uns in den Dialog zu kommen!'"
Entscheidungen seien erst bei der Herbstsynode in Amberg geplant. Das bestätigte auf epd-Anfrage auch Synodenpräsidentin Preidel.
Das dürfte auch im Sinne von Detlev Zander sein, der vor voreiligen Beschlüssen warnt. Das letzte Wort liege beim BeFo, betonte er. Dennoch liegen einige konkrete Pläne mit Blick auf die Herbstsynode bereits vor: Synodenpräsidentin Preidel sagte, dass man vor allem beim 2020 beschlossenen Präventionsgesetz ansetzen müsse. Das Gesetz müsse im Lichte der ForuM-Studie neu evaluiert werden: "Reicht es aus, was in diesem Gesetz drinsteht, oder müssen wir nachjustieren?"
Kritik an den Landeskirchen aufgrund Datenmangels
Einen weiteren Fokus legt Synodenpräsidentin Preidel auf die landeskirchliche Fachstelle für den Umgang mit sexualisierter Gewalt - ein Projekt, das eigentlich 2025 ausläuft. "Die Fachstelle muss langfristig angelegt werden, nicht nur als Projekt", stellte Preidel fest. Dazu sei im Herbst ein entsprechender Synodenbeschluss nötig.
"Sexualisierte Gewalt darf keinen Raum in der evangelischen Kirche haben",
sagte sie. Zugleich betonte sie: "Dass es nach der Veröffentlichung der ForuM-Studie Missverständnisse gegeben hat, bedauere ich."
Bei der Veröffentlichung der Studie Ende Januar hatten die beauftragten Forschenden einen Datenmangel beklagt, weil die Landeskirchen nur Disziplinarakten, aber - bis auf eine Landeskirche - keine Personalakten untersucht hatten. Aus der bayerischen Landeskirche hieß es daraufhin sinngemäß, man sei davon ausgegangen, dass man nur die Disziplinarakten mit Blick auf Missbrauchstaten hätte sichten sollen.
Kein Lockerlassen beim Thema Missbrauch
Viele Betroffene, unter ihnen auch Detlev Zander, kritisierten die bayerische Landeskirche dafür. Die Aufmerksamkeit sei durch die Debatte um die Datenlage von der "viel wichtigeren Situation der betroffenen Personen" weggelenkt worden, bedauerte Landesbischof Kopp im Nachgang.
Preidel sagte, dass die Aufklärung, die Aufarbeitung und das weitere Vorgehen nur zusammen mit den Betroffenen geschehen werde. Sie hoffe, dass die Synode in Coburg dieses Zeichen aussende werde. Detlev Zander betonte, dass er beim Thema Missbrauch nicht lockerlassen werde, solange er lebe. Er wolle wie ein "Stachel" für die Kirche sein.
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