In der Europäischen Union gibt es derzeit kein Mandat zur Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer. Die bayerische SPD-Landtagsfraktion will das ändern und fordert eine staatlich organisierte Seenotrettung auf EU-Ebene. Allein im vergangenen Jahr hätten nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks 1.221 Menschen bei der Flucht über das Mittelmeer ihr Leben verloren.

Zivile Hilfsorganisationen wie der Regensburger Verein Sea-Eye retteten Tausenden Menschen das Leben, ihre Besatzungen müssten jedoch am Rande der Legalität arbeiten, sagte der SPD-Europasprecher Markus Rinderspacher in München: "Dass ihre Arbeit behindert und kriminalisiert wird, muss ein Ende haben. Seenotrettung ist kein Verbrechen." Zivile Seenotretter leisteten einen "unschätzbaren Beitrag", um noch mehr Todesfälle auf dem Mittelmeer zu verhindern.

Sea-Eye rettete mehr als 15.000 Flüchtlinge im Mittelmeer

Die EU müsse sicherstellen, dass Rettungsschiffe sichere Häfen anlaufen könnten, von wo aus die Geretteten auf die EU-Mitgliedsländer verteilt würden.

Außerdem forderte er Unterstützung für die zivilen Seenotretter: "Die Rettung von Schiffbrüchigen muss als hoheitliche Aufgabe in Verantwortung der EU wieder aufgenommen werden", sagte Rinderspacher im Vorfeld einer Expertenanhörung im Landtag, bei der auch die Regensburger Seenotrettungsorganisation Sea-Eye zu Wort kam.

Deren Vorsitzender Gorden Isler forderte die bayerische Staatsregierung auf, mehr Verantwortung zu übernehmen und mit menschlichem Beispiel voranzugehen.

"Jedes Leben ist wert, gerettet zu werden", sagte Gorden Isler laut Redemanuskript. Sea-Eye hat seinen Angaben zufolge bisher mehr als 15.000 Flüchtlingen im zentralen Mittelmeer das Leben gerettet.

 

 

"Darauf sollten Parlament und Parlamentarier stolz sein und dieses Engagement fördern", sagte Isler. Stattdessen würden die zivilen Rettungsorganisationen mit ihrer humanitären Aufgabe alleingelassen.

Sea-Eye-Vorsitzender Gorden Isler: Fünf von sieben Rettungsschiffen derzeit festgesetzt

Von den sieben zivilen Hochseeschiffen, die zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer im Einsatz sind, seien derzeit fünf wegen angeblich technischer Mängel festgesetzt, sagte Isler weiter. Staatliche Akteure wie libysche Küstenwachen und Seestreitkräfte in Italien und Malta erschwerten die Arbeit der zivilen Seenotretter durch "Kriminalisierung, Diffamierung und eine rechtsmissbräuchliche Anwendung von Hafenstaatskontrollen".

Nach wie vor fehle es an einem europäischen Marinemandat - mit dem Auftrag, möglichst viele Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Die EU-Mitgliedsstaaten hätten dies an die Kräfte des Bürgerkriegslands Libyen delegiert, obwohl Libyen "kein sicherer Ort für die Ausschiffung von Migranten" sei.

Vorschlag eines Seenotrettungs-Gipfels aller beteiligten Kräfte

Die EU müsse schnellstens zu einer staatlichen Rettung zurückkehren und die zivilen Seenotretter unterstützen, sagte Isler. Der Sea-Eye-Vorsitzende schlug einen Seenotrettungs-Gipfel aller beteiligten Kräfte vor.

Parallel müsse ein dauerhafter Verteilungsmechanismus für alle Geretteten eingeführt werden. Außerdem forderte Isler die Wiederbelebung der Marineoperation Mare Nostrum. Sie sei die "letzte Mission gewesen, die noch den Auftrag hatte, möglichst viele Menschenleben zu retten". Die Einstellung dieser italienischen Marineoperation sei die Folge "unsolidarischen Verhaltens anderer EU-Mitgliedstaaten" gewesen.

Die Expertenanhörung im Landtag wurde von der SPD initiiert, um die Möglichkeiten einer Unterstützung der zivilen Seenotrettung auszuloten und geeignete Maßnahmen zu diskutieren, wie das Massensterben im Mittelmeer beendet werden kann.

Gorden Isler Sea-Eye
Gorden Isler, Vorsitzender der Regensburger Hilfsorganisation Sea-Eye, bei einem Einsatz auf dem deutschen Rettungsschiff „Alan Kurdi“ im Juni 2019.