Es ist sicherlich kein alltägliches Projekt für Johannes Fritsch, die Sanierung des Sebalder Pfarrhofs, aber auch kein ungewöhnliches: Schon seit Jahrzehnten beschäftigt sich sein Büro bereits generationenübergreifend um den Erhalt von bedeutenden Baudenkmälern, wie unter anderem von 1993 bis 2012 um St. Lorenz und seit 1993 bis zum heutigen Tag um St. Sebald, die beiden großen »Touristenkirchen« Nürnbergs.

Bereits 2013 liefen erste Planungen an, um die denkmalgeschützte Vierflügelanlage des Sebalder Pfarrhofs neben der Kirche, wo einst unter anderem Pfarrerswohnungen und der Gemeindesaal untergebracht waren, für die Gemeinde zukunftsfähig zu machen. Ziel ist es, das stadtbildprägende Gebäude mit dem weltweit berühmten Chörlein, das täglich Tausende Touristenblicke auf sich zieht, zu sanieren und in ein modernes, funktionales Ensemble zu wandeln.

»Im Wesentlichen sollen die Räume wieder so genutzt werden wie damals: Wohnung, großer Saal für die Gemeinde, funktionale Räume, Büros und notwendige Nebenräume«, erklärt Fritsch. Auf die beiden Garagen, die bislang im Innenhof waren, wird verzichtet, dafür der Saal um ein Entree mit Bistro vergrößert. Alles barrierefrei, versteht sich. Die Umbauten geschehen natürlich nur in dem Maß, wie es der Denkmalschutz zulässt beziehungsweise wie es wirtschaftlich vertretbar ist.

Nürnbergs Stadtbaugeschichte erleben

Manchmal ein wahrer Eiertanz, bei dem der Architekt schon so manche Überraschung erlebt hat. Das geht schon beim Alter des Komplexes los. »Eigentlich ist man von einem frühesten Baujahr 1368 des Sebalder Pfarrhofs ausgegangen, da erzählt wird, dass bei der Taufe von König Wenzel in der Sebalduskirche der Pfarrhof abgebrannt sei und danach erst wiedererrichtet wurde«, sagt Fritsch. So weit reichen zumindest die Aufzeichnungen in den Archiven zurück.

 

Architekt Johannes Fritsch im »Pfinzing«-Saal des Sebalder Pfarrhofs mit seiner gut erhaltenen Kassettendecke.
Architekt Johannes Fritsch im »Pfinzing«-Saal des Sebalder Pfarrhofs mit seiner gut erhaltenen Kassettendecke. Der schwelgerische Probst Melchior Pfinzing ließ den Saal hochwertig ausstatten, um repräsentative Aufgaben wahrzunehmen.

 

Jedoch entdeckten die Bauforscher bei ihrer Arbeit im Keller die Grundmauern eines Turmhauses, das in das 13. Jahrhundert zu datieren ist und wiesen nach, dass Balken im Erdgeschoss des östlichen Flügels aus dem Jahr 1312 stammen. »Wir haben es hier mit der frühesten Stadtgeschichte Nürnbergs zu tun«, so Fritsch.

Ohnehin sind es schriftliche Archivalien und Recherchen der Bauforschung, die einen Einblick in die Nutzungs- und Baugeschichte erlauben und einen Eindruck vermitteln, wie sich das mittelalterliche Leben hier abspielte. Hie und da müsse, so Fritsch, die Hausgeschichte umgeschrieben werden, da das Gebäude eben andere baugeschichtliche Zeugnisse freigibt.

Kleine Sensationen unter Putz

Manches Geheimnis verbarg sich bislang auch hinter Putz und Stein. So zeigte sich, dass der Südflügel im 14. Jahrhundert hofseitig als zweigeschossiger Fachwerkständerbau aus Eichenholz errichtet wurde, eine seltene, heutzutage angewandte Bauweise. Mithilfe von dendrochronologischen Untersuchungen, bei denen aus den alten Hölzern ein kleiner Bohrkern herausgenommen und mit den Wachstumsringen von Referenzhölzern verglichen wird, konnte das Alter des Balkens und damit das Datum seines Einbaus ermittelt werden.

 

Man muss genau hinsehen: An dieser Holzdecke wurden florale Malereien gefunden, die noch aus dem 14. Jahrhundert stammen. Sie haben die Zeit unter Lehmfüllungen überstanden.
Man muss genau hinsehen: An dieser Holzdecke wurden florale Malereien gefunden, die noch aus dem 14. Jahrhundert stammen. Sie haben die Zeit unter Lehmfüllungen überstanden.

 

»Im Sebalder Hof erleben wir sämtliche Stationen der Baugeschichte in Nürnberg nach«, so Fritsch weiter. Nahezu einzigartig in ganz Deutschland sind die floralen Malereien, die auf der Holzdecke im ersten Stock gefunden wurden. Sie sind auf das Jahr 1357 datiert und haben die Zeit versteckt unter Lehmfüllungen nahezu schadlos überstanden.

Begeistert ist Fritsch auch von den ursprünglichen Fußböden im Haus, die als feiner rosafarbener Ziegelsplitt-Estrich ausgeführt wurden und aus der ersten Bauphase stammen. Diese Böden wurden mit einem auch für heutige Verhältnisse äußerst aufwendigen Verfahren hergestellt.

Eine weitere Entdeckung birgt der Saal des Probstes Melchior Pfinzing, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts entstand. Um die notwendige Höhe für den 50 Quadratmeter großen Raum herzustellen, ließ Pfinzing sehr mutig das Dachwerk darüber über eine freitragende Sprengwerkkonstruktion anheben. Bestens erhalten ist die originale Kassettendecke des Saals, den der schwelgerische Probst von St. Sebald hochwertig ausstatten ließ, um repräsentative Aufgaben wahrzunehmen.

»Geheimnis« im Erdgeschoss

Nachgespürt hat Johannes Fritsch auch dem »Geheimnis« im Erdgeschoss, das bereits in alten Überlieferungen so genannt wurde: Eine unscheinbare Holztür gleich am Eingang des Hofs kann durch einen versteckten Schließmechanismus sowohl von außen als auch von innen geöffnet werden, um in einen kleinen Raum zu gelangen. Hierin war nicht nur eine kleine Weinschänke untergebracht, sondern auch eine kleine Spindeltreppe, über die man unbemerkt bis in den großen Pfinzingsaal gelangen konnte. Dass man sich so unbemerkt bewegen konnte, ohne gesehen zu werden, soll hier nur eine Randbemerkung sein...

 

Das »Geheimnis«: ein verborgener Schließmechanismus an einer Tür des Sebalder Pfarrhofs.
Das »Geheimnis«: ein verborgener Schließmechanismus an einer Tür des Sebalder Pfarrhofs.

 

»Wir tasten uns schrittweise und sorgfältig an alles heran, Schnellschüsse gibt es bei der Archäologie keine«, sagt Fritsch. Das gelte auch für die parallel laufenden archäologischen Grabungen, auf die ein großer Schutthaufen im Innenhof verweist. Hier arbeiten Wissenschaftler und Bauarbeiter Hand in Hand. Stößt der eine mit der Schaufel auf etwas Ungewöhnliches, schreit der andere »Halt«. Dann wird der Fund geborgen, eingeordnet, kartiert – und die weitere Untersuchung des Bodens möglicherweise ausgesetzt, wenn es sich nicht nur um eine Scherbe handelt, sondern der Fund auf ein größeres Reservoir an verborgenen Schätzen hinweist.

Ofenkacheln mit vorreformatorischen Darstellungen

So geschehen bei den Ofenkacheln, die unter Schutt im Erdreich beim Graben plötzlich auftauchten. Sie gehören zu den Resten alter Öfen, die wahrscheinlich zu Zeiten der Reformation bereits abgebaut worden waren. Sie zeigen den vorletzten römisch-deutschen Kaiser, der vom Papst gekrönt wurde, Friedrich III. (1415 bis 1493), mit der Darstellung einer Marienverkündigung. Die Kacheln stammen aus dem Jahr 1450 und wurden, so Fritschs Vermutung, rund 100 Jahre später mitsamt den Öfen entfernt und auf diese Weise entsorgt, da das Gezeigte nicht dem Geist der Reformation entsprach. Die Kacheln sind jetzt bei Restauratoren. Ob sie jemals wieder einen Platz im Pfarrhof von St. Sebald finden, ist unklar, der Architekt würde sich das aber wünschen. »Sonst versauern sie in irgendeinem Archiv.«

Nicht alles, was im Laufe der Zeit an und im Sebalder Pfarrhof verändert wurde, war ein schadensfreier Eingriff. Um Verformungen und Unebenheiten auszugleichen, wurden die schiefen Böden bis zu 25 Zentimeter aufgefüllt. Für dieses riesige Gewicht waren die Balkenquerschnitte der Decken nicht ausreichend dimensioniert, sodass Bruchschäden an der Tragkonstruktion entstanden sind. Der seit etwa 150 Jahren hier liegende Sand wird nun mit technischer Unterstützung ausgebaut, um aufwendige neue Stützkonstruktionen zu vermeiden.

Modernstes Gerät und hohe Kosten

Modernstes technisches Gerät kommt auch an anderen Stellen zum Einsatz. Zum Beispiel wurden bereits die steinernen Reliefs des Chörleins mithilfe der Lasertechnik schonend von den schwarzen Umweltkrusten befreit. Eine diffizile Arbeit, die eine ruhige Hand, Feingefühl und ein waches Auge des Restaurators verlangt, um nicht unbeabsichtigt den Stein unwiederbringlich zu  schädigen. Nicht zuletzt sind es die vielen Erkundungen zum Bauwerk, auf deren Grundlage denkmal- und materialgerecht die Sanierung entwickelt und umgesetzt wird.

Dies benötigt Zeit und Sorgfalt im Detail und spiegelt sich in den Kosten für die Sanierung wider. Der finanzielle Korridor wurde auf 4,5 Millionen Euro beziffert, von denen im besten Fall die öffentliche Hand durch den Bayerischen Entschädigungsfonds rund ein Drittel beisteuert. Die beiden anderen Drittel werden sich Landeskirche und Gemeinde teilen. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz würdigt und unterstützt mit einem ersten Zuschuss von 80 000 Euro den Erhalt dieses geschichtsträchtigen Kulturdenkmals.

Wann eingezogen werden kann? »Wir hoffen auf Ende 2019«, blickt Johannes Fritsch vorsichtig in die Zukunft. Wohl wissend, dass noch so manche auch unangenehme Überraschung während der Bauarbeiten kommen kann. Jedoch: Für die überraschenden kleinen Sensationen, die sich bereits unter Putz und Stein gefunden haben, hat sich der Aufwand schon gelohnt. Auch für die nächsten Generationen.

 

Die ostwärts gewandte Apsis der Hauskapelle des Sebalder Pfarrhofs ist das weltbekannte »Chörlein«.
Die ostwärts gewandte Apsis der Hauskapelle des Sebalder Pfarrhofs ist das weltbekannte »Chörlein«, heute eine Kopie von 1902, das gotische Original kann im Germanischen Nationalmuseum besichtigt werden.