Am liebsten spielt Thomas Rupp an einem See. Die glatte Wasserfläche trage den Ton besonders gut, sagt er. Am besten sei ein See in einem engen Talkessel: »Dann entsteht beim Spielen ein mehrfaches Echo, mit dem man einen Akkord aufbauen kann.«

Thomas Rupp hat Klang und Widerhall seines Alphorns schon an vielen Seen ausprobiert. Der Allgäuer spielt das Hirteninstrument seit 30 Jahren. Und genauso lange baut er es: 1988 fertigte er sein erstes Alphorn. Damals war Rupp noch Student. »Ich spielte schon länger Trompete – und ich fand, das Alphorn ist einfach ein cooles Instrument.«

Die Faszination für das 3,65 Meter lange Holzhorn hat der Berufsschullehrer für Holz- und Bautechnik sowie evangelische Religionslehre bis heute nicht verloren. Mehr als zwei Dutzend Mal im Jahr kann man Rupp, der auch den evangelischen Posaunenchor in Füssen leitet,  auf seinem Alphorn bei Berg- und Seegottesdiensten im Allgäu hören. Das Spielen hat er sich selbst beigebracht. »Wer ein Blasinstrument beherrscht, kann auch Alphorn spielen«, meint Rupp, der auch den Posaunenchor Füssen leitet. Bei seinen Alphorn-Seminaren, die der 53-Jährige auch in Kirchengemeinden gibt, erarbeiteten sich die meisten Teilnehmer innerhalb von zwei Stunden bis zu acht Töne, sagt er.

Lange Zeit war das Alphorn in Vergessenheit geraten

Die Töne des Alphorns sind Naturtöne. Sie werden ohne Ventile, Klappen oder Grifflöcher erzeugt – nur durch die Art des Blasens und die Lippenschwingung.  Gute Spieler entlocken dem Horn so 16 bis 20 Töne. Wer das kann,  zieht die Zuhörer schnell in seinen Bann. Als Schreinerlehrling habe er seine Haushaltskasse mit Straßenmusik aufgebessert, erzählt Rupp. Einmal habe er in Würzburg auf einer Verkehrsinsel gespielt: »Da sind die Straßenbahnen stehen geblieben, damit der Schaffner und die Fahrgäste zuhören konnten.«

Damals war das Instrument noch eher exotisch. Erste Zeugnisse über das Alphorn gibt es zwar schon aus dem 16. Jahrhundert (siehe Kasten). Später geriet es aber in Vergessenheit. Im Allgäu wurde es erst Ende der 1950er- Jahre wiederentdeckt. Ein Heimatpfleger besorgte damals drei Alphörner aus der Schweiz, wo es die Tradition schon länger wieder gab. So verbreitete sich das Alphorn auch im deutschen Alpenraum wieder.

Alphornbauer Thomas Rupp in seiner Werkstatt in Seeg im Allgäu
Im Keller und neuerdings auch in einem Anbau an sein Wohnhaus (oben) hat Thomas Rupp seine Alphorn-Werkstatt eingerichtet. Etwa 45 Arbeitsstunden dauert es, bis ein Alphorn fertig ist.

Heute ist es allgegenwärtig. Alphornbläser-Gruppen treten bei fast jedem Heimatfest im Allgäu auf – natürlich in Tracht. Thomas Rupp hält von dieser folkloristischen Vereinnahmung des Instruments nichts: »Manchmal hat man den Eindruck, es gehe bei den Auftritten mehr um die Größe des Gamsbarts am Hut als um die Qualität des Spiels.« Gerade beim mehrstimmigen Spiel in Gruppen seien die Stücke eher einfach – wenn auch der Klang beeindrucke. »Auf dem Alphorn ist aber viel mehr möglich«, meint Rupp – von der Klassik über Jazz bis zu experimenteller Musik.

Ohnehin ist es unwahrscheinlich, dass das Alphorn ursprünglich in Gruppen gespielt wurde. Früher habe jeder Hirte sein Horn selbst gefertigt, erläutert Rupp.  »Er hat eine krummgewachsene Bergfichte halbiert, ausgehöhlt und dann mit Rinde oder Schnur wieder zusammengefügt. Mit solchen Instrumenten war aber ein Zusammenspiel nicht möglich. Dazu müssen die Hörner die gleiche Länge haben – und sehr genau gefertig sein«, sagt Rupp.

Thomas Rupp zeigt ein Mundstück
Auch Mundstücke für die Alphörner fertigt Rupp selbst. Sie sind aus Obstholz. Die Röhre des Alphorns und der Kelch werden aus Bergfichten hergestellt.

Was das bedeutet, weiß der Musiker und gelernte Schreiner aus Erfahrung. Etwa 45 Arbeitsstunden benötigt Rupp, um ein Alphorn in seiner Werkstatt herzustellen. Im Keller seines Wohnhauses in Seeg steht eine große Fräsmaschine; Rohlinge und halbfertige Rohrstücke warten darauf, bearbeitet zu werden. Den Herstellungsprozess habe er im Laufe der Jahre immer weiter verbessert, erläutert Rupp. Seine Alphörner fertige er so, dass sie im Innern vollkommen glatt seien: »Da gibt es keine Kanten, die den Klang stören. Das Rohr muss innen an jeder Stelle rund und eben sein.« Auch die Mundstücke aus Holz stellt Rupp selbst her.

Zwei Alphörner habe er bislang pro Jahr gefertigt. In diesem Jahr jedoch werden es wohl mehr. »Statt Urlaub zu machen, baue ich in den Ferien Alphörner«, meint er lachend. Zwischendrin jedoch fährt er gerne an einen nahegelegenen Weiher, um zu spielen. »Für mich ist das Erholung pur«, sagt Rupp. »Da lasse ich die Seele baumeln.«

Geschichte des Alphorns

Urspung und Entstehungszeit des Alphorns sind weitgehend unbekannt. Erstmals schriftlich erwähnt wird ein Alphorn in einem Dokument des Schweizer Klosters  St. Urban im Jahr 1527. Ein Altarbild von 1568 in der Bergkapelle Rohrmoos bei Oberstdorf zeigt einen Schafhirten mit Alphorn. Später war das Instrument als »Bettelhorn« verrufen, weil die Hirten im Winter in die Städte zogen, um dort zu spielen und Almosen zu sammeln. Danach geriet das Alphorn in Vergessenheit.

Als Anfang des 19. Jahrhunderts der Tourismus aufkam, belebte man die Tradition in der Schweiz wieder. Alphörner wurden nachgebaut und an Jodler und Brauchtumsvereine verteilt. Heute ist das Instrument ein Schweizer Nationalsymbol. In Deutschland begann man Ende der 1950er-Jahre, das Alphorn zu fördern. Heute ist es im Alpenraum wieder weit verbreitet.