Das evangelische Sozialunternehmen Diakoneo mit Sitz im mittelfränkischen Neuendettelsau ist in Süddeutschland einer der größten diakonischen Träger: Kliniken, Pflegeheime und Kindergärten gehören ebenso zum Portfolio wie Einrichtungen der Behindertenhilfe und anderes mehr. Vorstandsvorsitzender Mathias Hartmann erklärt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), wo aus seiner Sicht im Gesundheits- und Pflegebereich die aktuellen Herausforderungen liegen - und weshalb er von der Politik ein schnelles Eingreifen bei mehreren wichtigen Stellschrauben fordert.

Herr Hartmann, viele Kliniken sind finanziell und personell am Anschlag - was muss aus Ihrer Sicht passieren, dass demnächst nicht in vielen kleinen Krankenhäusern die Lichter ausgehen?

Hartmann: Tatsächlich ist ja jetzt auch die Expertenkommission zu dem Schluss gekommen, den wir als Krankernhausträger schon längst gezogen haben. Nämlich, dass man die sogenannten Vorhaltekosten als Krankenhausträger finanziert bekommt. Es ist ja so, dass Kliniken eine Notfallversorgung und Betten auch dann vorhalten müssen, wenn sie gerade nicht genutzt werden - diese Grundkosten müssen auch finanziert werden, wenn nicht gerade Vollauslastung herrscht wie während der Corona-Pandemie. Die Finanzierung nur über Fallpauschalen hat zur Spezialisierung großer Kliniken und zur Austrocknung kleiner Kliniken geführt.

Die Fallpauschalen wurden eingeführt, um die Kosten im Klinikbereich zu senken. Ist das sozusagen der grundlegende Denkfehler gewesen, das Gesundheitssystem zu ökonomisieren?

Hartmann: Ja, ganz klar. Natürlich müssen die finanziellen Mittel auch im Gesundheitssystem wirtschaftlich eingesetzt werden. Aber die Gesundheitsversorgung darf kein Wirtschaftszweig sein, mit dem vor allem Renditen ausgezahlt werden. Inzwischen sehen das ja auch die Gesundheitspolitiker fast aller Parteien so. Die Ökonomisierung des Gesundheitssystems war ein Fehler, und sie muss eigentlich ganz rückgängig gemacht werden. Die Einführung des Pflegebudgets war in dieser Hinsicht ein erster wichtiger Schritt. Erst seitdem wird Pflege als wichtiger Bestandteil stationärer Behandlung auch finanziell berücksichtigt, und zwar nicht nur fallbezogen.

Geld alleine ist im Gesundheits- und Pflegebereich nicht alles - es fehlen überall Fachkräfte. Wie sähe für Sie ein konstruktiver Lösungsansatz aus, kurz- und mittelfristig?

Hartmann: Das ist nicht leicht. Denn kurzfristig haben wir vor allem ein Problem mit dem Thema Zeitarbeit. Die Zeitarbeitsfirmen werben mit besseren Gehältern und besseren Arbeitsbedingungen das rare Pflegepersonal bei den Trägern von Kliniken, Seniorenheimen oder ambulanten Diensten ab - um es den Trägern dann wieder für mehr Geld "auszuleihen". Ich verstehe jeden Pflegenden, der sich das überlegt, denn in der Regel müssen dort keine Nacht- oder Wochenenddienste gemacht werden. Die Probleme in den Häusern verschärft das aber noch einmal. Und deshalb muss die Politik schnell reagieren und das Treiben der Zeitarbeitsfirmen im Gesundheitsbereich begrenzen.

Wollen Sie Zeitarbeit in der Pflege und im Gesundheitsbereich generell untersagen - oder geht es Ihnen um gleiche Bedingungen für alle?

Hartmann: Um ehrlich zu sein, brauchen wir aktuell die Zeitarbeitsfirmen - denn dort arbeiten nicht wenige Pflegekräfte. Auf die können wir von heute auf morgen gar nicht verzichten. Aber wir brauchen in der Tat für alle in der Pflege gleiche Bedingungen. Wer loyal zum eigenen Krankenhaus steht und sich mit aller Kraft dafür einsetzt, dass die Patienten jederzeit gut versorgt sind, darf nicht schlechter gestellt werden. Ich hielte es für einen gangbaren Weg, wenn Zeitarbeiter immer zu gleichen Bedingungen wie das Stammpersonal beschäftigt werden müssten - gleicher Lohn, gleiche Verpflichtungen. Das könnte man gesetzlich regeln und so die Macht der Zeitarbeitsfirmen begrenzen.

Soviel zur kurzfristigen Lösung. Aber was muss sich mittel- und langfristig tun? Die Pflegeschulen erleben ja jetzt auch nicht gerade einen große Run auf ihre Ausbildungsplätze.

Hartmann: Wir müssen an den Rahmenbedingungen im Berufsfeld Pflege arbeiten. Wir brauchen flexiblere Lösungen, wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie...

 ... das klingt immer so gut: Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Pflegebereich! Wie soll das für junge Eltern funktionieren, wenn die ambulante Pflegetour um 6 Uhr früh beginnt?

Hartmann: Wer beispielsweise bei Diakoneo arbeitet, der kann auch schon um 6 Uhr seine Kinder in eine unserer Kitas bringen. Wenn man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wirklich will, braucht man genau solche Betreuungszeiten. Es geht aber auch um mehr, etwa um selbstorganisierte Dienstpläne statt starrer Einteilungen. Das Ziel muss sein, dass kleine Teams sich selbst ihre Dienste und Touren so planen, dass es für alle gut passt - und nicht die eine Pflegedienstleitung den Plan macht und dann den Unmut abbekommt. Die Träger im Gesundheits- und Pflegebereich müssen umdenken und mitarbeiterorientierter werden.

Die Uniklinik Würzburg hat sogenannte Flexteams gegründet - da werden keine festen Stundenzahlen angeboten, sondern die Bewerber werden gefragt, wann sie wie viel arbeiten wollen. Ist das ein Modell?

Hartmann: Ja, zum Beispiel. Aber da gibt es schon viele verschiedene Ansätze und Modelle. Allen gleich ist, dass sie sehr viel mitarbeiterorientierter sind als das, was derzeit übliche Praxis ist. Denn genau das brauchen wir als Sozialunternehmen und auch unsere Mitarbeitenden. Ich habe da keinen "Superplan" in der Schublade, das muss jeweils mit den Mitarbeitenden vor Ort organisiert und gelöst werden, indem man fragt: Was braucht ihr, um gut und zufrieden zu arbeiten, und wie kann man das in der tagtäglichen Praxis gut umsetzen?

Kurz zusammengefasst: Die Sozialunternehmen müssen mitarbeiterorientierter werden, um den Zeitarbeitsfirmen das Wasser abzugraben?

Hartmann: Ja, so ist das. Und zugleich muss die Politik die Rahmenbedingungen für Zeitarbeit ändern. Wir müssen an beiden Stellschrauben drehen, wenn wir wollen, dass Arbeit auch in den Care-Berufen etwas ist, was die Mitarbeitenden stärkt und nicht deren Kraft und Energie raubt. Arbeit gehört zum Leben und sollte sehr viel stärker an die Lebenswirklichkeiten der Menschen angepasst und dort integriert werden als bisher. Das klingt alles sehr idealistisch, ich weiß. Aber wir dürfen diese Dauerbelastung und Überlastung derer, die sich professionell um andere Menschen kümmern, nicht einfach weiter tatenlos hinnehmen.

Es ist ja nicht so, dass die Probleme im Pflege- und Gesundheitsbereich über Nacht aufgekommen sind. Wie sehr ärgert Sie es, dass die Mahnungen der Sozialverbände lange Zeit überhört wurden?

Hartmann: Das ist alles sehr ärgerlich, weil wir ja bei ganz vielen Punkten viel Zeit gehabt hätten, um rechtzeitig zu reagieren. Da schließe ich Diakoneo an der ein oder anderen Stelle durchaus mit ein. Wir diskutieren seit 25 Jahren über den demografischen Wandelt und dass es irgendwann einen Fachkräftemangel geben wird, wir wissen seit Jahren, dass in Europa kaum noch Arznei oder Material für die Gesundheitsberufe produziert wird, und so weiter. Fakt ist: Oft werden wesentliche Veränderungen tatsächlich erst angegangen, wenn es weh tut. Und im Moment tut es richtig weh, nun ist der Handlungsdruck da. Es liegen jetzt Konzepte auf dem Tisch. Und die müssen zügig umgesetzt werden.

Sie sagten, der Gesundheits- und Pflegebereich sollte nicht für die Gewinnerzielung von Investoren herhalten. Wie schaut es bei Diakoneo aus, verdienen Sie mit Pflege und Co. Geld?

Hartmann: Auch gemeinnützige Unternehmen wie Diakoneo müssen mehr als die schwarze Null erwirtschaften, um wieder investieren zu können - das ist für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit elementar. Aber die Renditeziele in diesem Bereich müssen begrenzt werden. Während gemeinnützige Unternehmen ihre Renditen dafür nutzen, sie in ihre Einrichtungen zu reinvestieren, gibt es Investoren, die Erwartungen von sechs, sieben oder acht Prozent haben - das macht Pflege teuer. Wenn es also Renditen gibt, die weit über dem liegen, was Einrichtungen zum guten Bestehen brauchen, und die dann von Investoren abgeschöpft werden, sollte der Staat regulierend eingreifen.