München, Murnau (epd). Dass Männer- und Frauenkörper anders ticken, muss nach Expertenmeinung fester Teil des Medizinstudiums und der Pflegeausbildung werden. Geschlechterspezifische Unterschiede müssten in allen Bereichen der Medizin mitgedacht werden, angefangen bei der Forschung und bei Medikamententests, sagte die Ärztin Astrid Bühren im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Bühren ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Murnau und Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin.

"Studien haben ergeben, dass es bei Frauen doppelt so lange dauert wie bei Männern, bis sie mit einem Herzinfarkt in die Klinik kommen", nannte Bühren ein Beispiel. Das liegt daran, dass Frauen oftmals andere Symptome hätten als die bei Männern klassischen starken Schmerzen im Brustraum, die in den linken Arm ausstrahlen. Frauen klagten eher über unspezifische Symptome wie Kurzatmigkeit, Übelkeit, Beschwerden im Oberbauch oder Müdigkeit. Dass Männer- und Frauenkörper vielfach unterschiedlich funktionieren, liege auch an der unterschiedlichen hormonellen Ausstattung.

Auch Männer seien von einer mangelnden gendersensiblen Medizin betroffen, sagte Bühren. Bis zu ein Prozent aller Fälle von Brustkrebs betreffe Männer, das seien Hunderte Männer pro Jahr. Brustkrebs gelte aber gesellschaftlich und auch medizinisch als typische Frauenkrankheit und sei traditionell in der Frauenheilkunde angesiedelt. Ähnlich sehe es bei Depressionen aus. Die würden bei Frauen schneller diagnostiziert. Viele Männer seien noch mit dem Satz "Ein Indianer kennt keinen Schmerz" groß geworden, spielten Krankheitssymptome eher herunter und gingen nicht sofort zum Arzt.

Eine geschlechtersensiblere Medizin wäre zudem deutlich kostengünstiger. "Denn wenn gleich zu Beginn die richtige medikamentöse Behandlung für Frauen verordnet wird, kommt es seltener zu Nebenwirkungen und Krankschreibungen." Auch auf die richtige Dosierung von Medikamenten kommt es an: Eine 65 Kilogramm-Frau erhalte oftmals die gleiche Dosierung wie ein 90 Kilogramm-Mann. Wenn man aber die unterschiedliche Fett- und Wasserverteilung bei Mann und Frau berücksichtigte, ergäben sich Dosierungsunterschiede von 40 Prozent, gab Bühren zu bedenken.

Da medizinisches Fachwissen auch in der Pflege wichtig sei, müsse gendersensible Medizin Teil der Pflegeausbildung werden, fordert Hildegard Seidl, Fachreferentin für Gendermedizin und -pflege der München Klinik. Im Pflegealltag komme es oft zu intimen Situationen - etwa beim Waschen oder Anziehen von Patientinnen und Patienten. Jugendliche wollten häufig von einer gleichgeschlechtlichen Pflegekraft versorgt werden. Oftmals spielten auch Vorurteile eine Rolle, wenn etwa ein Mann mit traditionellem Rollenverständnis sich nichts von einer weiblichen Pflegekraft sagen lassen wolle.

Pflegekräfte müssten bereits in der Ausbildung lernen, mit solchen Situationen professionell umzugehen, forderte Seidl.

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