Als ich mit einer Freundin im Yogastudio ankomme, ist schon alles vorbereitet. In einem Kreis liegen 15 Meditationskissen, daneben Wolldecken, in der Mitte des Kreises ein paar Zweige auf dem Boden, Kerzen brennen, im Hintergrund läuft leise Klangschalenmusik. Die Frau, die die Zeremonie leitet, ist weiß, Anfang 30 und trägt ein langes schwarzes Kleid. Auf der Website des Yogastudios beschreibt sie sich als "wilde Frau aus ganzem Herzen, Yogini, spirituelle Künstlerin, Ritualdesignerin und Cacao Guardian". Was es mit dieser Selbstbezeichnung auf sich hat, erfahre ich im Laufe der zweistündigen Zeremonie.
Zu Beginn gibt es eine Vorstellungsrunde. Eine kleine Holzfigur wird herumgereicht, die von der Leiterin als "kleine Göttin" bezeichnet wird. Alle sollen sagen, wie sie heißen, wie es ihnen geht, mit welchen Gefühlen und Erwartungen sie in den Kreis kommen.
Der Kreis ist hier nicht nur als praktische Anordnung von Sitzkissen zu verstehen, nicht zu vergleichen mit einem Stuhlkreis in der Grundschule. Schnell wird klar, dass er vielmehr einen hohen symbolischen Wert hat. Der Kreis ist eine Art magische Barriere, die Leiterin spricht von guten und bösen Mächten, von Geistern und "Wesen", die wir in den Kreis einladen wollen, von Gedanken an Haushalt und Arbeit, die außerhalb des Kreises warten sollen.
Rohkakao als "Pflanzenmedizin"
Das angekündigte Kakao-Ritual beginnt erst nach einer guten halben Stunde Atmen und Einführung. Die Leiterin erklärt, was schon in der Ankündigungsmail für den Abend stand: Rohkakao ist etwas ganz anderes als der Kakao, den wir aus dem Supermarkt kennen. Kakao hat eine nährende und vor allem anregende Wirkung, ist eine "subtile Pflanzenmedizin".
In ihren Ausführungen personifiziert die Leiterin den Kakao, spricht von "ihr", als wäre es eine Person, die man mitnimmt und nicht ein Getränk. Sie spricht leise, die Worte werden von einem ständigen Seufzen und Summen begleitet, ihre Hand liegt beim Sprechen flach auf der Mitte ihrer Brust.
Der Kakao komme eigentlich aus Südamerika, erklärt sie weiter, dort gebe es schon seit langer Zeit Kakao-Rituale, bei denen der Kakao aber nur geopfert, nicht getrunken werde. Wir werden heute den Kakao trinken und nur symbolisch ein Glas in die Mitte des Kreises stellen. Woher die Idee kommt, den Kakao aus spirituellen Gründen zu trinken, sagt die Leiterin nicht.
Kakao-Zeremonie
Wer jetzt, wie ich, eine Zeremonie wie in einem japanischen Teehaus erwartet, bei der aus einer großen Kanne mit Schwanenhals von oben kochendes Wasser in kleine Tassen gegossen wird, liegt falsch. Denn nach der Einführung dreht sich die Leiterin einfach um und gießt Kakao aus zwei Thermoskannen in vorbereitete Gläser. Dabei läuft auch etwas Kakao auf den Parkettboden des Yogastudios, der schnell mit den Fingern aufgewischt wird.
Die ganze Szene empfinde ich als unglaublich komisch, wie wir alle im Kreis auf unseren Meditationskissen sitzen und in andächtiger Stille dem Gurgeln der Thermoskannen lauschen.
Bevor wir den Kakao gemeinsam trinken, sollen wir unsere Wünsche und Sorgen "in den Kakao tun".
Mit geschlossenen Augen sitzen die Teilnehmenden da, in beiden Händen das Glas mit der dickflüssigen, dunklen Flüssigkeit. Der Kakao schmeckt bitter und ein bisschen nach Banane. Ich trinke mein Glas aus, obwohl ich die stückige Konsistenz und den erdigen Geschmack nicht besonders mag.
Meditative Ahnenforschung
Nach dem Kakaotrinken öffnet uns der Kakao den Kontakt zur "Anderswelt", sagt die Leiterin. Wir sollen die Augen schließen und uns vorstellen, wie hinter uns unsere Vorfahren auftauchen. Auf der rechten Seite die der väterlichen Linie, auf der linken Seite die der mütterlichen Linie. Wir sollen alles zulassen: Lichter und Visionen, die kommen, Botschaften, die uns unsere Ahnen geben wollen.
Ich versuche wirklich, mich darauf einzulassen, aber ich kann nichts damit anfangen. Die Vorstellung, dass Geister hinter mir auftauchen, finde ich beängstigend, in meinem Kopf tauchen verschiedene Szenen aus Horrorfilmen auf.
Kakao-Zeremonie: Privilegien und kulturelle Aneignung
Nach der Zeremonie bleibe ich ratlos zurück. Meine Freundin und ich hatten einen schönen Abend, wir fühlten uns entspannt und ruhig, aber der Kakao und die Ahnen, die uns erscheinen sollten, haben uns nicht erreicht.
Ich bin aufgeschlossen gegenüber verschiedenen Formen der Spiritualität. Ich mache Yoga, lege manchmal Tarotkarten - aber eine Kakaozeremonie ist wohl eher nichts für mich. Ich könnte es dabei belassen, aber es gibt drei Gedanken, die mich nicht loslassen.
Der erste Gedanke ist ganz einfach: Die Kakao-Zeremonie kostet knapp 40 Euro für zwei Stunden. Es ist klar, dass ein solcher Preis viele Menschen ausschließt. Wer kann sich schon 40 Euro für zwei Stunden Spiritualität leisten?
Der zweite Punkt ist ein bitterer Beigeschmack, der sich bei mir an diesem Abend einstellt. Dieser hängt mit dem Umgang mit verschiedenen Riten und Bräuchen zusammen. Erst ist von Samhain die Rede, dann von keltischen Traditionen, von Ahnen, die vor uns "auf diesem Boden" gelebt haben, dann wieder von der Kakaopflanze aus Südamerika. Viele Sätze der Leiterin sind unreflektiert und wirken wie aus der Luft gegriffen. Auf der Website des Yogastudios schreibt sie, dass sie sich "keiner einzelnen Ideologie verschrieben" habe. Das Ergebnis ist eine wilde Mischung aus kulturellen Einflüssen und Praktiken, die verfremdet und ohne Einordnung wiedergegeben werden.
Individuelle Spiritualität ohne Regeln kann gefährlich werden
Der dritte Gedanke, den ich nach der Feier habe, ist etwas weiter gefasst und bezieht sich nicht nur auf den konkreten Anlass. Es geht dabei um Fragen der Grenzenlosigkeit und des Individualismus. In einer Spiritualität, in der die Menschen sich alles aneignen, was ihnen guttut, gibt es keine Regeln und keinen Rahmen. Auf einem solchen Boden kann Spiritualität zu etwas durch und durch Gerechtem wachsen. Das Individuum wird in den Mittelpunkt gestellt, wird selbst zu etwas Transzendentem, zu einer Macht, zu einer Anziehungskraft und ist damit auch allein für sich selbst verantwortlich.
Dem halte ich den christlichen Glauben entgegen. Auch wenn ich mich mit den Angeboten meiner Kirchengemeinde leider nicht so gut identifizieren kann wie mit den Kursen eines Yogastudios: Ich bin davon überzeugt, dass eine Religion mit klaren Richtlinien unerlässlich ist, um mit der eigenen Spiritualität nicht vom Weg abzukommen. Wovon ich auch überzeugt bin: Gott als dritte Instanz zwischen mir und der Welt hilft mir nicht nur, meine eigene Rolle und Verantwortung mir selbst und anderen gegenüber zu finden, sondern auch loszulassen und vertrauen zu können.
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Sehr guter Artikel! Unsere…
Sehr guter Artikel! Unsere Gemeindepfarrerin verabschiedet sich; im Gemeindeblatt ihr Foto - eine tibetanische Klangschale andächtig in den Himmel reckend. Auf meine Nachfrage, ob nicht die Bibel oder das Kreuz eher hochzuhalten (gerne such im übertragenen Sinn) gewesen wären, antwortet mir der Kirchenvorstand, man fände das Bild gut, es sei während eines Kindergartengottesdienstes entstanden (was lernen Kindergartenkinder - christliche , muslimische, anders- wie ungläubige Kinder über unseren Glauben?) und die Leitung der EKHN empfehle selber Klangschalenmeditationen. An meiner Antwort arbeite ich noch…
Sehr guter Artikel! Unsere…
Sehr guter Artikel! Unsere Gemeindepfarrerin verabschiedet sich; im Gemeindeblatt ihr Foto - eine tibetanische Klangschale andächtig in den Himmel reckend. Auf meine Nachfrage, ob nicht die Bibel oder das Kreuz eher hochzuhalten (gerne such im übertragenen Sinn) gewesen wären, antwortet mir der Kirchenvorstand, man fände das Bild gut, es sei während eines Kindergartengottesdienstes entstanden (was lernen Kindergartenkinder - christliche , muslimische, anders- wie ungläubige Kinder über unseren Glauben?) und die Leitung der EKHN empfehle selber Klangschalenmeditationen. An meiner Antwort arbeite ich noch…