Im September ist es wieder so weit: Dann packen die Archäologen ihre Kellen, Schaufeln und anderen Werkzeuge zusammen. Sie verlassen den Ölberg in Jerusalem, wo das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft in Israel (DEI) seinen Sitz hat. Und ziehen nur wenige Kilometer weiter zum protestantischen Friedhof am Zionsberg, bauen Schattenzelte auf und fangen an zu graben.

Schon vor über hundert Jahren haben dort zwei Engländer Mauerreste und Schwellen entdeckt, die möglicherweise zum Essener Tor gehören könnten. Der jüdische Historiker Flavius Josephus hatte über das Tor geschrieben und es wird in Verbindung gebracht mit dem Letzten Abendmahl, zu dem Jesus seine Jünger am Zionsberg im Viertel der Essener versammelt haben soll. In den 1970er-Jahren forschte ein Benediktinerpater weiter, später wurde alles zugeschüttet.

»Durchaus üblich, wenn es keinen Plan zur Konservierung gibt und man die Funde schützen will«, erklärt Katharina Palmberger. Gemeinsam mit Dieter Vieweger, dem Leiter des Instituts, führt die 30-Jährige die Grabungen am Zionsberg an. Eine faszinierende Aufgabe, wie sie erklärt: »Eine so große zusammenhängende Fläche innerhalb der Stadtmauer erforschen zu können, ist etwas Besonderes.«

Katharina Palmberger, Archäologin am Jerusalemer Zionsberg.
Katharina Palmberger, Archäologin am Jerusalemer Zionsberg.

Ein Museum, das kein Museum ist

Das Institut ist auf dem Gelände der Auguste-Viktoria-Stiftung auf dem Ölberg zu finden. Ein Krankenhaus liegt dort, ein Garten, in dem die Patienten mit ihren Besuchern unter Bäumen sitzen, ein Café, das zum evangelischen Pilger- und Begegnungszentrum gehört, und die rund 100 Jahre alte Himmelfahrtskirche, deren Turm von weitem zu sehen ist. Versteckt in einem Winkel steht die Villa mit Türmchen und massivem Mauerwerk, in der das DEI zu Hause ist.

Drinnen sind Exponate aus der Sammlung von Gustav Dalman, dem ersten Institutsleiter, ausgestellt: Ossuare, also Kästen aus Kalkstein, in denen die Knochen der Toten begraben wurden. Dalmans Glasdia-Sammlung mit faszinierenden, aufwendig nachkolorierten Aufnahmen. Modelle von der Grabeskirche und von Jerusalem zur Zeit Jesu, wie es sich der aus Württemberg stammende Missionar, Architekt und Archäologe Conrad Schick vorgestellt hat. Seine Modelle waren so spektakulär, dass sie auf den Weltausstellungen 1873 in Wien und 1904 in St. Louis gezeigt wurden.

Das Haus ist aber kein Museum, hier liegen auch die Büros des Institutsleiters und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter. Finanziert werden sie von der Evangelischen Kirche in Deutschland, zahlreichen Spendern, einem Förderverein und mit Drittmitteln für Projekte und Stellen. Sie veröffentlichen Aufsätze und Bücher, halten Vorträge und Lehrkurse und veranstalten archäologische Führungen. Und natürlich forschen sie auch selbst unter der Erde.

Dieter Vieweger, Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft in Jerusalem.
Dieter Vieweger, Leiter des Deutschen Evangelischen Instituts für Altertumswissenschaft in Jerusalem.

»Jerusalem ist wie Rom«

Auf rund 60 Quadratmetern erstreckt sich das Gelände am Zionsberg, in dem das DEI herausfinden will, aus welcher Zeit die Torschwellen tatsächlich stammen, wie sich die Bebauung in diesem Teil Jerusalems und damit auch die Struktur der Stadt in den vergangenen Jahrtausenden verändert hat. Zwei Grabungskampagnen liegen schon hinter ihnen. Inzwischen sind sie auf der byzantinischen Ebene angekommen, also in der Zeit zwischen dem 4. und 7. Jahrhundert nach Christus. Mit der diesjährigen Grabung im Herbst wollen sie noch weiter in die Vergangenheit vordringen.

Immer wieder kommt in Israel Neues ans Tageslicht – manchmal durch Zufall, wie die Synagoge aus der Zeit Jesu, die bei Bauvorbereitungen am See Genezareth entdeckt wurde. Als der Wasserstand am See vor einigen Jahren besonders niedrig war, wurde am Ufer auch ein Fischerboot aus dieser Zeit gefunden. Selbst in der Grabkapelle in Jerusalem sind die Restauratoren unlängst auf eine Überraschung gestoßen: Hinter der Marmorverkleidung tauchten Wandteile eines Höhlengrabs auf.

Eigentlich könnte man meinen, dass in einer Stadt wie Jerusalem jeder Stein schon umgedreht wurde. Doch das Gegenteil ist der Fall: »Jerusalem ist wie Rom«, sagt Katharina Palmberger, »beide haben eine lange Geschichte und an jeder Ecke könnte man auf Neues stoßen.« Doch der Großteil ist bebaut und kann gar nicht untersucht werden. »Da haben wir mit unserem Zionsberg ausgesprochenes Glück«, erklärt die Wissenschaftlerin.

Das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft im Heiligen Land auf dem Jerusalemer Zionsberg.
Das Deutsche Evangelische Institut für Altertumswissenschaft im Heiligen Land auf dem Jerusalemer Zionsberg.

Spannende Zeitreise unter der evangelischen Erlöserkirche

Aus mehreren Gründen: Das Gelände war nicht bebaut, sondern lag brach. Die Ausgrabungsstelle befindet sich eindeutig auf israelischem Gebiet – auch das ist angesichts der politischen Situation ein wichtiger Punkt. Obendrein gehört das Gelände schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts der anglikanischen Kirche. »So kommen wir zu dieser großen archäologischen Herausforderung«, sagt Palmberger.

Es ist nicht die einzige: In einem weiteren Forschungsprojekt hat sich das DEI vorgenommen, die »Zweite Mauer« zu finden – also den Teil der Stadtbefestigung, den Herodes im 1. Jahrhundert vor Christus errichten ließ, als sich Jerusalem nach Norden hin ausgedehnt hatte. Archäologen suchen schon sehr lange nach ihr.

Seit einigen Jahren sind auch die Ergebnisse ihrer Forschung unter der Erlöserkirche für Besucher zugänglich. Im archäologischen Park »Durch die Zeiten« steigen sie 14 Meter tief unter die Erde – und reisen dabei durch die Geschichte der Stadt, vom Mosaikfußboden der Kreuzfahrerkirche über Spuren aus der Zeit Hadrians und der im Jahr 70 nach Christus zerstörten Stadt bis in die Tiefe und zum Steinbruch aus Herodes’ Zeit.