Viele Horrorfilme basieren auf einem dualistischen Weltbild: Es gibt das Gute und das Böse. Licht und Finsternis. Gott und Teufel. Besonders deutlich wird dieses Schema im christlich geprägten Exorzismus-Horror.
"Der Exorzist" zum Beispiel gilt als einer der bekanntesten Filme dieses Genres. Hier wird das Böse in Gestalt des Dämons Pazuzu greifbar, der von einem jungen Mädchen Besitz ergriffen hat. Die einzige Rettung: ein ritueller Exorzismus durch einen katholischen Priester. Der Film spielt bewusst mit religiösen Symbolen - dem Kreuz, dem Weihwasser, den lateinischen Gebeten – und stellt die Kirche als letzte Bastion gegen die übernatürlichen Mächte des Bösen dar.
Ähnlich funktionieren die Filme um die – real existierende - Familie Warren, wie etwa "The Conjuring", die auf realen Fällen paranormaler Untersuchungen basieren. Hier sind es christliche Geisterjäger, die mit Gebeten und heiligen Symbolen gegen Dämonen kämpfen.
Religion wird in diesen Filmen nicht nur als dekoratives Element eingesetzt, sondern als zentrales Mittel zur Überwindung des Schreckens. Das Böse ist nicht einfach ein psychopathischer Killer, sondern eine übernatürliche Macht, die es nach den Gesetzen der christlichen Theologie zu besiegen gilt.
Die Angst vor der Apokalypse
Ein weiteres beliebtes religiöses Motiv im Horrorfilm ist die Apokalypse. Die Vorstellung, dass die Welt in einem letzten Kampf zwischen Gut und Böse untergeht, hat eine lange Tradition - nicht zuletzt in der Offenbarung des Johannes. Filme wie "The Omen" spielen mit dieser Vorstellung, indem sie die Geburt des Antichristen als Zeichen für den bevorstehenden Weltuntergang deuten.
Auch "Rosemary’s Baby" erzählt von einer schleichenden Apokalypse: Die Geburt eines Kindes, das möglicherweise satanischen Ursprungs ist, stellt die Weltordnung in Frage.
Moderne Endzeitfilme wie "28 Days Later" oder "The Mist" greifen apokalyptische Motive auf und verbinden sie mit biblischen Anklängen. In "The Mist" wird sogar eine fundamentalistische Christin zur treibenden Kraft einer gefährlichen Endzeitsekte. Religion wird hier nicht als Heilmittel, sondern als angstverstärkendes Element inszeniert.
Kirche und Klerus als Schauplatz des Grauens
Während in einigen Horrorfilmen die Kirche als letzte Zuflucht erscheint, wird sie in anderen zum Symbol für Scheinheiligkeit und Machtmissbrauch. "The Nun" zum Beispiel nutzt das Kloster als unheimlichen Ort, an dem Dämonen lauern.
Auch der Film "Der Name der Rose" ist zwar kein klassischer Horrorfilm, spielt aber mit ähnlichen Ängsten: Ein mittelalterliches Kloster als Ort der Verdammnis, in dem Morde vertuscht werden. Gerade im europäischen Horrorfilm wird die Kirche oft ambivalent dargestellt.
"Der Mönch" nach dem Roman von Matthew Lewis zeigt einen Priester, der selbst zum Monster wird. Das Religiöse ist in solchen Filmen nicht mehr Mittel zur Rettung, sondern selbst Teil des Grauens.
Religiöse Motive abseits des Christentums
Religiöse Motive im Horrorfilm sind keineswegs auf das Christentum beschränkt. Viele Filme greifen Elemente anderer Religionen und Mythologien auf, seien es Buddhismus, Hinduismus, Islam oder nordische Mythologien. Während beispielsweise "The Nun" mit christlich-dämonischen Motiven arbeitet, greift "Midsommar" heidnische und naturreligiöse Themen auf.
Der Film zeigt eine schwedische Sekte, die sich auf alte nordische Rituale beruft, aber in ihrer Brutalität jede romantische Vorstellung von Naturreligion zerstört. Die Protagonistin Dani verliert auf tragische Weise ihre Familie und wird in die Sekte hineingezogen, die ihr eine neue "Familie" bietet.
Doch der Trost, den sie findet, ist grausam: Sie muss ihre alte Identität und ihre Moralvorstellungen aufgeben, um Teil dieser Welt zu werden. Interessanterweise gibt es hier keinen klassischen Gott oder Teufel, sondern eine Religion, die ganz aus Riten, Mythen und Gruppenzwang besteht. In gewisser Weise zeigt "Midsommar" eine umgekehrte spirituelle Reise: Dani wird nicht erlöst, sondern durch Gehirnwäsche in ein neues Glaubenssystem gezwungen.
Warum funktioniert Horror so gut mit Religion?
Die Verbindung von Schrecken und Religion ist kein Zufall. Religiöse Symbole sind tief im kulturellen Gedächtnis verankert, und ihre Bedeutung ist oft mit existentiellen Ängsten verbunden: Angst vor dem Tod, vor der Verdammnis, vor dem Unbekannten. Horrorfilme nutzen diese Ängste und übersteigern sie, indem sie die Grenze zwischen Diesseits und Jenseits auflösen.
Gleichzeitig erzählt der Horrorfilm oft uralte religiöse Geschichten neu – den Kampf gegen das Böse, die Versuchung durch dunkle Mächte, das Ringen um Erlösung.
Das macht das Genre so wirkungsvoll: Es geht nicht nur um Schockeffekte und klassische Jumpscares, sondern um tiefe Fragen der Menschheit. Vielleicht üben Horrorfilme deshalb trotz ihres oft düsteren Tons eine seltsame Faszination aus. Sie lassen uns in den Abgrund blicken – und erinnern uns dabei an uralte Geschichten über Gut und Böse, Schuld und Sühne, Glauben und Zweifel.
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