Die Entscheidung der Essener Tafel, vorübergehend keine Migranten mehr als Neukunden aufzunehmen, hat bundesweit Debatten ausgelöst. Der Hintergrund: 6000 Plätze für Tafel-Kunden gibt es in Essen. Weil der Ausländeranteil seit 2015 von rund 35 auf 75 Prozent gestiegen ist, hat der ehrenamtlich organisierte Lebensmittel-Verteiler beschlossen, vorübergehend keine Migranten mehr als Neukunden aufzunehmen.

Vor allem Senioren und alleinerziehende deutsche Mütter hätten sich bei der Lebensmittelausgabe nicht mehr wohlgefühlt und seien offenbar einem schleichenden Verdrängungsprozess zum Opfer gefallen, sagte der Vorsitzende der Essener Tafel, Jörg Sartor, gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ). Sie hätten sich offenbar von der Vielzahl junger, fremdsprachiger Männer an den Ausgabestellen abgeschreckt gefühlt. Sartor zufolge liege das auch am "mangelnden Respekt gegenüber Frauen" einiger der Männer. "Wenn wir morgens die Tür aufgeschlossen haben, gab es Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange." Den Aufnahmestopp wolle man wieder aufheben, wenn das Verhältnis ausgeglichener sei, so Sartor.

"Fuck Nazis"

Die Entscheidung des Essener Tafelvereins hatte Ende vergangener Woche empörte Reaktionen ausgelöst. In der Nacht zum vergangenen Sonntag wurden das Gebäude und Fahrzeuge der Tafel mit den Worten "Nazis" und "Fuck Nazis" beschmiert.

Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) kritisierte die Entscheidung des Essener Tafel: Eine Gruppe von Menschen pauschal auszuschließen fördere Vorurteile und Ausgrenzung, sagte die SPD-Politikerin. Es müsse klar sein, dass Bedürftigkeit das Maß sei "und nicht der Pass". Zugleich bescheinigte Barley den Ehrenamtlichen "großen persönlichen Einsatz". Die Tafeln in Deutschland leisteten einen wertvollen Beitrag bei der Unterstützung der Schwächsten in Deutschland.

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) nannte die Entscheidung gegenüber der WAZ "nachvollziehbar". Die Situation könne der Vorstand der Essener Tafel am besten selbst bewerten. Es stehe in der Satzung des Vereins, dass möglichst alle Teile der Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt werden: "Ohne diese Entscheidung wäre wohl zukünftig eine sozial ausgewogene und gerechte Verteilung von Lebensmitteln nicht möglich." Laut dem katholischen Theologieprofessor Eberhard Schockenhoff (Freiburg) ist die Entscheidung zwar nicht optimal, aber nachvollziehbar. Wenn sich ältere Leute und Mütter ausgeschlossen fühlten, sei auch das nicht im Sinn einer Tafel.

Überfordert

Auch der Dachverband der deutschen Tafeln zeigte Verständnis. Zwar sei die Bedürftigkeit und nicht die Herkunft entscheidend. Wenn einzelne Tafeln davon eine Ausnahme machen müssten, liege das an der Situation vor Ort, "die für die Ehrenamtlichen organisatorisch nicht mehr anders händelbar sind", erklärte der Verbandsvorsitzende Jochen Brühl.

Die Vorsitzende des Arbeits- und Sozialausschusses im Bundestag, Kerstin Griese (SPD), zeigte sich hingegen "fassungslos": "Auf ›Geschubse und Gedrängel ohne Rücksicht auf die Oma in der Schlange‹ mit dem pauschalen Ausschluss nicht deutscher Hilfesuchender zu reagieren ist eine nicht akzeptable Diskriminierung, die an Rassismus grenzt", sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Griese ist Mitglied des Rats der EKD. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kritisierte den Essener Aufnahmestopp für Ausländer. "Ich glaube, da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen", sagte sie in einem Fernsehinterview mit RTL Aktuell. Dies sei "nicht gut", zeige aber "auch den Druck, den es gibt". Sie hoffe auf gute Lösungen, die keine Gruppen ausschließen, erklärte Merkel. Die Debatte über die Essener Tafel habe auch gezeigt, wie viele Menschen auf solche Angebote angewiesen seien.

Ersatz für staatliche Sozialleistungen

Die Tafeln würden als Ersatz für staatliche Sozialleistungen benutzt, sagte der Kölner Armutsforscher Christoph Butterwegge dem epd. Damit seien sie überfordert. Zu den Bedürftigen zählten zunehmend auch Flüchtlinge. Butterwegge schlug vor, dass die Konflikte vor Ort entschärft werden könnten, wenn es beispielsweise für alte Leute andere Öffnungszeiten gebe als für Ausländer.

Heute gibt es in der Bundesrepublik 934 lokale Tafel-Initiativen, das sind fast fünf Mal so viele wie vor 20 Jahren. Rund 60 000 ehrenamtliche Helfer sammeln "überflüssige" Lebensmittel und verteilen sie kostenlos an rund 1,5 Millionen Bedürftige.