Kommt man aus der Winterkälte, ist es mollig warm in dem schmucklosen Raum im Stuttgarter Dekra-Haupthaus. Alles hier wirkt etwas grau. Die Decke und die Wände sind mit einem Rußfilm überzogen, irgendjemand hat ein Herz an die Wand gemalt. Künstlicher Orangengeruch hängt in der Luft. Verströmt wird er von elf Versuchskerzen in Marmeladengläsern, die Kerzenprüfer Volker Albrecht gerade unter die Lupe nimmt - neben einigen dicken Stumpenkerzen, feinen Spitzkerzen und zehn Teelichtern.
Albrecht hat als Europas einziger Prüfer für das RAL-Siegel der Gütegemeinschaft Kerzen alle Hände voll zu tun. »Es ist merkwürdig«, sagt der 45-Jährige, und versenkt einen Metallmessstab in einem Gitterzylinder. »Die Leute haben immer weniger Zeit, kaufen aber immer mehr Kerzen.« Vor allem Maxi-Lichter in Metall und Glas sowie andere stimmungsvolle Duft- und Farbenkerzen hätten Hochkonjunktur.
»Tropft nicht, ruß- und raucharm, hochwertige Rohstoffe«, damit wirbt das Siegel der Gütegemeinschaft Kerzen, der derzeit 35 Hersteller aus ganz Europa angehören. Während er erzählt, misst Volker Albrecht mit einem schnellen Blick den Abstand einer Spitzkerze zur Glasplatte darüber und senkt die Platte mit einem geschickten Handgriff etwas ab. Die Kerze macht gerade in einem Zylinder den Rußtest: Anhand des Schmutzfilms auf der Glasplatte lässt sich zum Schluss der Rußindex der Kerze berechnen.
Bevor der Prüfer eine Kerze anzündet, schaut er sie sich erst einmal ganz genau an. Er vermisst sie, wiegt sie und studiert ihre Zusammensetzung sowie den Docht. Getestet wird nie nur eine Kerze einer Sorte, sondern immer mindestens drei. Bei den Teelichtern kommen sogar gleich zehn auf den Prüfstand, weil sie nur kurz durchhalten.
Die Luft steht ziemlich still. Durchzug wäre kontraproduktiv in dem Versuchsraum. Die dickeren Kerzen brennen jeweils vier Stunden lang. Dann löscht Albrecht die Flamme für 60 Minuten, bevor er einen zweiten Vier-Stunden-Zyklus startet. Nach jeder Stunde notiert er in den Protokollen seine Beobachtungen, ein Wecker erinnert ihn daran. Bei großen Lichtern, wie etwa Altarkerzen, zieht sich der Test über Wochen hin, wie er erzählt.
Wichtig ist, dass die Kerze gleichmäßig abbrennt, nicht flackert. Auch ob die Kerze tropft, rußt oder nachglüht, hält Albrecht fest. Seit 14 Jahren beschäftigt er sich für Dekra mit Kerzen. Rund 2000 Kerzen pro Jahr gehen durch seine Hände. »Wir sind die Einzigen, die von der Gütegemeinschaft Kerzen zugelassen sind«, sagt er, und setzt lachend hinzu: »Wer das RAL-Siegel möchte, kommt an mir nicht vorbei.« Es gebe in der Kerzen-Branche viele kleine und mittelständische Unternehmen. Das Familiäre schätze er, sagt der studierte Agraringenieur, der im Remstal bei Stuttgart geboren wurde.
Möchte eine neue Firma zertifiziert werden, stattet Albrecht ihr erst einmal einen Besuch ab. Viele Hersteller von günstigen Kerzen säßen mittlerweile in Polen, sagt der schlanke Prüfer mit grauem Bürstenhaarschnitt und Brille. Auf Wunsch der Firmen testet er dann die Produkte, die das Siegel erhalten sollen. Es gilt für ein Jahr. Auch der Handel lasse häufiger mal Kerzen testen, etwa die Discounter.
Dekra wurde 1925 als »Deutscher Kraftfahrzeug-Überwachungs-Verein« gegründet und steht eigentlich für Autos und Mobilität. Dass die Prüfgesellschaft Kerzen teste, sei einem Missverständnis zu verdanken, erzählt Volker Albrecht: Ein Kunde habe wegen der Prüfung von Kerzen angefragt. Als die Kollegen zusagten, seien sie eigentlich von Zündkerzen ausgegangen.
Bei den Kerzen, die in seinem Prüflabor landen, gebe es nur wenige Beanstandungen, sagt der Sachverständige. Bis vor zehn Jahren seien sie überwiegend aus Paraffin hergestellt worden, heute würden meist Fette verwendet, sogenannte Stearine.
Während er erzählt, brennen die Kerzen auf dem Arbeitstisch friedlich vor sich hin. Dass die Versuchsobjekte auf einer feuerfesten Platte stehen, hat seine Berechtigung: Einmal sei eine Kerze auf einem Adventskranz durchgebrochen und habe diesen binnen kürzester Zeit in Brand gesteckt, berichtet der Prüfer.
So ein Zwischenfall wäre in diesen Wochen eher unwahrscheinlich - die Weihnachtskerzen testet Albrecht schon im August. Schließlich sollen sie rechtzeitig zum Advent in den Regalen stehen. »Für mich ist Weihnachten also vorbei«, scherzt der Vater einer zehnjährigen Tochter - und schickt ein flammendes Plädoyer für echte Kerzen am Christbaum hinterher: »Kerzen sind ein wunderbares Produkt.«