Zwei Kirchenrechtsprofessoren werfen dem Münchner Kardinal Reinhard Marx und dem emeritierten Papst Benedikt XVI. laut einem Zeitungsbericht Fehler im Umgang mit einem Missbrauchstäter vor. Beide sollen im Fall des verurteilten Pfarrers Peter H. falsch gehandelt haben, sagten Bernhard Anuth von der Universität Tübingen und Norbert Lüdecke von der Universität Bonn der Wochenzeitung "Die Zeit" und ihrer Beilage "Christ & Welt" (Mittwoch) unter Berufung auf geheime Dokumente der römisch-katholischen Kirche. Der ehemalige Papst wies die Kritik zurück, das Erzbistum München verwies auf ein in Kürze erscheinendes Gutachten.

Der damalige Münchner Erzbischof Joseph Ratzinger und spätere Papst Benedikt im Jahr 1980 dem Wechsel von H. nach ersten Beschuldigungen vom Ruhrgebiet ins Münchner Erzbistum "in Kenntnis der Sachlage" zugestimmt, zitiert die Wochenzeitung aus einem außergerichtlichen Dekret. Ratzinger und andere seien, so die Kirchenrichter, ihrer "Verantwortung gegenüber den ihrer Hirtensorge anvertrauten Kindern und Jugendlichen nicht gerecht geworden".

2008 sei H. dann nach einer psychiatrischen Begutachtung von Garching nach Bad Tölz versetzt worden. Kirchenrechtler Lüdecke kritisierte, dass Marx nur das Gutachten beauftragte, aber keine interne Voruntersuchung anordnete und den Fall nicht an den Vatikan meldete: "Dass er dies nicht getan hat, stellt eine Pflichtverletzung dar."

Der Pfarrer wurde beschuldigt, Ende der 70er Jahre in Essen einen elfjährigen Ministranten missbraucht zu haben. In einer staatsanwaltlichen Vernehmung räumte der Priester die Vorwürfe 2008 laut Zeitungsbericht zum Teil ein. Die Verantwortung für seinen Einsatz liege laut Anuth letztlich bei Marx: "Mit einem ausgeprägteren Problembewusstsein hätte dieser auch Kontroll- oder Präventivmaßnahmen ergreifen können." Die grundsätzliche Entscheidung, H. als Seelsorger einzusetzen, könne man ihm jedoch nicht vorwerfen, da er die Meinung von Sachverständigen eingeholt habe.

Der ehemalige Papst wies die Vorwürfe auf Nachfrage der Zeitung über seinen Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein zurück. Er habe zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. nicht von den Vorwürfen sexueller Übergriffe gewusst. Die Pressestelle der Erzdiözese München und Freising wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Man wolle dem in Kürze erscheinenden Gutachten zu Missbrauch in der Erzdiözese München und Freising nicht vorgreifen, sagte eine Sprecherin auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) am Dienstag. Alle dem Ordinariat vorliegenden Akten zum Fall H. wurden der mit dem Gutachten beauftragten externen Rechtsanwaltskanzlei zur Verfügung gestellt.