Abdel-Hakim Ourghis neues Buch "Die Liebe zum Hass" ist eine provokante und tiefgründige Analyse des muslimischen Antisemitismus und des Hasses auf Israel. Der Autor, Muslim und liberaler Islamwissenschaftler, nimmt den Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober 2023 als Ausgangspunkt, um die ideologischen und theologischen Wurzeln einer "Kultur der Verachtung" im politischen Islam zu untersuchen.
Der 7. Oktober 2023 markiert einen Tiefpunkt in der Geschichte des Nahostkonflikts. Mit beispielloser Brutalität überfielen Terroristen der Hamas israelische Ortschaften nahe des Gazastreifens, töteten, folterten, vergewaltigten, verschleppten Kinder, Frauen, Alte. Über 1200 Menschen starben – ein Angriff, dessen Grausamkeit sprachlos macht.
Für den Islamwissenschaftler und Religionspädagogen Abdel-Hakim Ourghi ist dieser "schwarze Schabbat" mehr als ein politisches Verbrechen: Er ist Ausdruck einer tief verwurzelten Kultur der Verachtung, die in Teilen des politischen Islam den Hass auf Israel und das Judentum systematisch nährt. "Der 7. Oktober war keine Rache der Unterdrückten", schreibt er in seinem neuen Buch "Die Liebe zum Hass: Israel, 7. Oktober 2023". "Es war keine Revolte gegen die herrschende Macht, kein Befreiungskrieg gegen einen angeblich postkolonialen Staat, sondern ein krasser Ausbruch antisemitischer Gewalt, verübt von islamisch-radikalen Fanatikern."
Religiös begründeter Hass
Ourghi analysiert die theologischen, ideologischen und kulturellen Hintergründe dieses Hasses – und scheut sich nicht, unbequeme Fragen zu stellen. Seine These: Der Antisemitismus im islamischen Kontext wird viel zu oft verdrängt, relativiert oder aus falsch verstandener Rücksichtnahme nicht klar benannt. Doch wer dem Hass entgegentreten will, muss ihn in seiner Tiefe verstehen – auch und gerade dort, wo er religiös begründet wird.
Ourghi, selbst liberaler Muslim mit algerischen Wurzeln, spricht nicht über eine fremde Religion – er spricht von innen heraus. Mit großer Klarheit zeigt er auf, wie überlieferte Koranexegesen, frühe polemische Texte und der gegenwärtige politische Islam ein Weltbild geprägt haben, das den Staat Israel nicht nur ablehnt, sondern entmenschlicht. Die Täter des 7. Oktober sahen ihre Opfer nicht als Menschen, sondern als "Feinde Gottes". Diese Entmenschlichung, so Ourghi, ist kein Zufall – sie ist Teil einer jahrzehntelang gepflegten Theologie des Hasses.
Ein Grund liegt für Ourghi darin, dass palästinensische Kinder in ihren Familien, in Kindergärten und Schulen zum Hass erzogen werden: "Achtung vor dem Leben und den Lebenden haben sie nie gelernt. In ihre Seelen gefressen hat sich die Überzeugung, dass Juden ein wertloses Nichts sind und entsprechend behandelt werden können." Ourghi sieht deshalb auch die Hamas-Terroristen als Opfer – Opfer einer Kultur des Hasses und ihrer Sozialisation hin zum Hass."
Dennoch bleibt die enthemmte Grausamkeit der Taten schwer erklärbar; Ourghi diagnostiziert einen "hohen Grad an Sadismus", eine ausgeprägte Gefühlskälte, eine "Seelenblindheit, die das Gegenüber als bloßes Ding betrachtet". Für die Täter waren ihre Opfer keine Menschen, sondern als Freiwild gejagtes, unwertes Leben. Schlichtes Töten war nicht ausreichend, die Opfer mussten geschändet werden, gefoltert, vergewaltigt, verstümmelt und verbrannt.
Die Täter waren seiner Analyse nach keine "paranoid-narzisstischen Geisteskranken", auch keine "emotional-instabilen Soziopathen". Sie waren "Menschen, die gläubig waren und beteten".
Er erzählt die Episode des jugendlichen Hamas-Terroristen Mahmoud, der am 7. Oktober aus dem Kibbuz Mefalsim aufgeregt seine Familie zu Hause in Gaza angerufen hatte und damit prahlte, zehn Juden massakriert zu haben, wie er im Rausch stolz ins Telefon rief: "Ich habe sie mit meinen eigenen Händen getötet" und wie ihn sein Vater, seine Mutter und sein Bruder beglückwünschten – einer nach dem anderen. Seine Mutter sagte gar: "Ich wäre gerne mit dir." Angesichts dieses Wahnsinns hat für Ourghi ein Satz der ehemaligen israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir (1898-1978) nichts von seiner Wahrheit verloren: "Der Frieden wird kommen, wenn die Araber ihre Kinder mehr lieben, als sie uns hassen."
Wurzel des Hasses?
Eine Wurzel des Hasses sieht Ourghi im Islam, der die Feindschaft zu den Juden bereits in der Zeit seiner Entstehung im siebten Jahrhundert festschrieb. Nachdem sich die jüdischen Stämme in Medina weigerten, zum Islam zur konvertieren, bekämpfte Mohammed sie mit grausamer Härte. "Zur Entstehung von judenfeindlichen Mythen und Vorurteilen haben der Koran und die Tradition des Propheten erheblich beigetragen", so Ourghi. "Ihre Rolle bei der Dämonisierung der Juden und der Abwertung des Judentums ist kaum zu unterschätzen." Nach einer umfangreichen Analyse der islamischen Quellen kommt er zum Schluss: "Auch wenn diese Realität viele Muslime schmerzt, muss es gesagt werden: Der politisch-juristische Koran und die Tradition des Propheten bilden die Grundlage der Ideologie des Hasses."
Einen weiteren Aspekt des islamischen Antisemitismus sieht Ourghi im spezifisch israelbezogenen Antisemitismus. Die vehemente Ablehnung des Staats Israel eint heute nicht nur die unterschiedlichen radikalen Gruppen, sondern praktisch alle Schichten der muslimischen Gesellschaft. "In Israel einen Hauptfeind zu sehen, könnte man als integralen Bestandteil der kollektiven Identität der Muslime in der Gegenwart sehen."
Ourghi zitiert dabei den britischen Rabbiner Lord Jonathan Sachs (1948-2020): "Im Mittelalter wurden die Juden wegen ihrer Religion gehasst. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wegen ihrer Rasse. Heute werden sie wegen ihres Nationalstaats, des Staats Israel gehasst. Der Hass nimmt verschiedene Formen an, aber er bleibt derselbe: Die Juden hätten kein Recht, als freie und gleichberechtigte Menschen zu existieren."
Ourghi benennt in seinem Buch auch die unheiligen Allianzen, die aus dem Konflikt entstanden sind: Große Teile der politischen Linken, der Kulturszene und des akademischen Betriebs haben sich faktisch an die Seite der islamischen Antisemiten gestellt. "Der westliche Antisemitismus, der sich mit Vertretern des islamisch-radikalen politischen Islam und Klimaaktivisten verbindet, hat inzwischen Eventcharakter angenommen."
Das Buch wirft Fragen auf, die in der interreligiösen Arbeit oft zu kurz kommen: Wie können die Kirchen ihren Beitrag leisten, um islamische Gesprächspartner bei der Auseinandersetzung mit eigenen dunklen Traditionslinien zu unterstützen – ohne belehrend oder überheblich aufzutreten? Ourghi schreibt: "Nicht nur Politiker, sondern gerade die Wortführer der Kirchen sollten den Mut aufbringen, die Gefahren, die vom islamischen Antisemitismus in den muslimischen Gemeinden und in der Gesellschaft ausgehen, deutlich anzusprechen." Probleme könnten nur gelöst werden, wenn man sie klar erkennt und benennt.
Wie kann es weitergehen in Nahost? In letzter Konsequenz spricht sich Ourghi gegen die immer noch vielfach favorisierte Zweistaatenlösung zur Beendigung des Konflikts aus: "Ein palästinensischer Staat wäre eine noch bessere Grundlage für endlose Kriege, es würde unweigerlich zu einem zweiten und dritten 7. Oktober kommen", ist er sich sicher.
Gemeinsamer Staat als Lösung
Die Lösung sieht Ourghi in einem gemeinsamen Staat. Ein hervorragendes Beispiel für die gelungene Integration von zwei Millionen Arabern in die israelische Gesellschaft seien die Drusen und die arabischen Beduinen, die ihre kulturelle Identität bewahrt hätten und sich dennoch als israelische Bürger identifizierten.
Ein heilender Weg zum Frieden ist die Kunst des Miteinander-Redens in Zeiten des Hasses, ist sich Ourghi sicher. Den Zeitpunkt sieht er dafür im bevorstehenden Zustand der Erschöpfung, wenn beide Seiten vom Krieg müde sind und eine Situation empfundener Sinnlosigkeit einkehrt.
Das Leid der Palästinenser wird in Ourgis Analyse nicht ausgeklammert. Er beschreibt die drastischen Folgen von Israels Militäroffensive "Schwerter aus Eisen": 1,9 Millionen Menschen mussten ihre Häuser verlassen, Zehntausende Tote sind zu beklagen, darunter auch viele Kinder. Er kommt mit dem israelischen Schriftsteller Drohr Mishani zum Schluss: "Die Verlagerung des Leids von einer Seite der Grenze auf die andere ist fast vollständig erfolgt."
Im aktuellen Konflikt sieht er deshalb nur einen richtigen Ort: an der Seite der leidenden Menschen, der Israelis wie der Palästinenser. Nur wer sich an diesen Ort begebe, könne dazu beitragen, dass das Töten, Sterben und Leiden auf allen Seiten endlich aufhört.
Trotz aller Schärfe bleibt "Die Liebe zum Hass" ein dialogisches Buch. Es ist getragen von der Hoffnung, dass Religion nicht spalten, sondern heilen kann – wenn sie sich auf ihre friedensstiftenden Kräfte besinnt. Ourghis unbequeme Analyse ist ein muslimischer Ruf zur Umkehr, aber auch ein Weckruf für den christlich-islamischen Dialog.
Abdel-Hakim Ourghi: Die Liebe zum Hass. Claudius Verlag. 224 Seiten. 24 Euro.
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