München (epd). Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) sieht Deutschland angesichts der gescheiterten Ampelkoalition in keiner Demokratiekrise. "Die Situation ist keine Katastrophe, denn wir haben Regeln in unserer Demokratie für die Lösung von Regierungskrisen", sagte er am Mittwoch dem Radiosender Bayern2. Streit und Wahlkampf seien "Inbegriff der Demokratie". Von einer Krise des demokratischen Systems zu sprechen, halte er daher für eine "maßlos übertriebene Diagnose".

"Die Regeln unserer Demokratie, die in der Verfassung, im Parteiengesetz festgelegt sind, die funktionieren", sagte er weiter. Das Vertrauen in demokratische Institutionen und in Politiker nehme nicht nur in Deutschland ab, sondern in allen vergleichbaren Ländern in Europa. Als Grund nannte Thierse die "dramatischen Veränderungen, in denen wir uns befinden - wo die Unsicherheit von Menschen, die Ungeduld und die Wut zugenommen hat und die Erwartung nach schnellen, einfachen Lösungen, ja fast nach Wundern so zugenommen hat".

Demokratie setze voraus, dass es ein annähernd gleiches Problembewusstsein bei den Menschen gebe - und damit eine annähernd gleiche Realitätswahrnehmung. Wenn aber die einen "fernsehen, und Rundfunk, und Zeitungen lesen, und die anderen nur noch im Internet, in den Blasen", dann zersplittere sich die Wirklichkeitswahrnehmung. In der Folge zersplitterten sich auch demokratische Vorschläge von demokratischen Parteien, was wiederum die Konsensbildung, von der eine Demokratie lebe, erschwere.

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