München, Wien (epd). Der Ökonom Gabriel Felbermayr rechnet mit viel höheren Wohlstandsverlusten in Deutschland als die bisherigen Konjunkturprognosen erwarten lassen. Das Einkommen der Bürger werde 2022 nicht um 1,4 Prozent wachsen, wie es die vier führenden Wirtschaftsforschungsinstitute vergangene Woche in ihrem gemeinsamen Herbstgutachten suggeriert hatten, sagte Felbermayr der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwoch). Einer eigenen Untersuchung zufolge rechnet der Ökonom damit, dass die Kaufkraft der Deutschen dieses Jahr vielmehr um ungefähr 1,3 Prozent sinken wird.

Grund für diese andere Einschätzung Felbermayrs ist, dass die hohen Importpreise etwa für Gas und Öl bei der Berechnung des realen Bruttoinlandsprodukts (BIP) und damit des gesamtwirtschaftlichen Einkommens nicht berücksichtigt würden. Die hohen Importpreise könnten jedoch Auswirkungen auf das Leben der Menschen sowie auf die Entscheidungen der Politik haben, erläuterte der Chef des in Wien ansässigen Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung, der zuvor in leitender Position beim Münchener Ifo-Institut und beim Kieler Institut für Weltwirtschaft tätig gewesen war.

Kommendes Jahr könnte der Rückgang der Kaufkraft laut Felbermayr bei rund 4 Prozent liegen: "Die Politik sieht also das ganze Ausmaß der Verarmung der Bevölkerung nicht, weil es aus den offiziellen Zahlen nicht hervorgeht." Damit bestehe die Gefahr, dass sozialpolitisch nicht die richtigen Schlüsse gezogen werden." Den Tarifpartnern gaukelten die BIP-Zahlen einen Lohnerhöhungsspielraum vor, den es in Wahrheit gar nicht gebe, sagte Felbermayr. Es bestehe somit die Gefahr, dass die Löhne derart steigen, dass dies schließlich "volkswirtschaftlich schädlich" sei und Arbeitsplätze koste.