Der Bankangestellte Gerold Kyas trägt eine Brille mit orangen Gläsern, und wer ihn fragt, was es damit auf sich hat, trifft auch den Physiker Kyas. Alles Licht, das kurzwelliger als grün ist, wird durch die Brille geschnitten, erklärt er. Und weil auch blinde Augen von kurzwelligem Licht stärker beansprucht werden, entlasten ihn die orangen Brillengläser.

Der 36-Jährige arbeitet im 13. Stock eines Hochhauses in Frankfurt am Main, in der IT-Abteilung der KfW-Bank. Er ist spät erblindet. Als Kind und Jugendlicher hat er gesehen, "im Teenageralter wurde es dann etwas auffällig und während des Studiums hat es sich deutlich verschlechtert", erzählt er.

Arbeiten mit Behinderung

Die Promotion an der Humboldt-Universität in Berlin und seine Laufbahn als Physiker an einer Hochschule brach er ab. "Mir persönlich wäre das zu anstrengend gewesen", sagt Kyas, ständig vermitteln zu müssen, dass man die gleiche Arbeit wie sehende Menschen leisten kann. Gerade in der Wissenschaft, wo befristete Verträge gängig sind, fand er das abschreckend.

"Um seinen Seh-Rest auszunutzen", wie er sagt, verreiste er - dann begann er mit der sogenannten blindentechnischen Grundrehabilitation. In dem Programm lernen Menschen, die erblinden oder erblindet sind, verschiedene Techniken wie etwa das Lesen der Punktschrift mit den Händen.

Inklusiver Arbeitgeber

Damals hörte Kyas davon, dass sich die KfW offensiv als inklusiver Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung anbietet. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, wie die KfW eigentlich heißt, ist eine der größten staatlichen Förderbanken der Welt.

Neben privaten Bauvorhaben fördert die KfW die europäische Wirtschaft und weltweite Entwicklungshilfeprojekte. Auch inhaltlich habe ihn die Ausrichtung interessiert, und so passte 2015 einfach alles zusammen, sagt Kyas: "Als Physiker ist es auch nicht abwegig, in einer Bank zu arbeiten, speziell in der IT."

Die KfW hat sich das Ziel gesetzt, sechs Prozent der Stellen an Menschen mit Behinderung zu vergeben. Ende 2021 seien es knapp 5,9 Prozent gewesen, sagt Erika Holz, die Inklusionsbeauftragte der Bank. Holz zufolge ist die KfW Partnerschaften mit Verbänden wie dem Behindertensportverband eingegangen. Digitale Inhalte - intern wie extern - müssten barrierefrei sein, sagt sie.

Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt

Die Hilfsorganisation Aktion Mensch bemängelt in einer aktuellen Analyse die nach wie vor hohen Barrieren für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Bernd Rürup, Präsident des an der Studie beteiligten Handelsblatt Research Institutes, kritisiert die Wirtschaft:

"Trotz zunehmender Personalengpässe ignorieren viele das Potenzial von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Behinderung."

Jedes vierte Unternehmen zahlt lieber ein Bußgeld, als die vorgeschriebene Quote zu erfüllen, nach der fünf Prozent der Beschäftigten Menschen mit Behinderung sein müssen. Dabei stellt auch die KfW Menschen mit Behinderung nicht aus reiner Nächstenliebe ein.

Keine reine Nächstenliebe

Neben deren Potenzial als Fachkräfte hätten sich weitere Vorteile gezeigt, sagt die Inklusionsbeauftragte Holz: "Wir erleben, dass diese Mitarbeiter in der Regel außergewöhnlich verlässliche Kollegen sind."

Der mitunter erhöhte Aufwand bei der Einrichtung eines Arbeitsplatzes zahle sich aus, denn die Mitarbeiter seien oft besonders loyal und würden dem Unternehmen über lange Zeit treu bleiben. Das Inklusionsbarometer der Aktion Mensch stützt das und zeigt für 2021 die niedrigste Kündigungszahl, seit die Studie 2013 erstmals erschien.

Arbeitsalltag mit Behinderung

Gerold Kyas nutzt an seinem Schreibtisch vor allem den Screenreader, der ihm alle Informationen vorliest, die sein Rechner verarbeitet. Damit ist er schneller als mit der Braillezeile, die ihm die Inhalte in Punktschrift zum Lesen mit den Fingern anzeigt.

Komplizierte Namen liest Kyas jedoch Buchstabe für Buchstabe auf der Braillezeile, um sie sich so besser einzuprägen. Die Punkte pulsieren auf und ab, dort, wo der Cursor blinkt. In der Ecke lehnt sein Langstock, und die orange Brille filtert das kurzwellige Licht, das durch die Fenster des 13. Stocks fällt.