Bund und Länder suchen nach Wegen zur Entkriminalisierung des sogenannten Containerns. Vor Beratungen am Dienstag bleibt aber unklar, ob die Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren künftig vorsehen, dass die Behörden Verfahren wegen Diebstahls weggeworfener Lebensmittel in der Regel einstellen.

Nur Containern selbst soll straffrei werden

Zwar unterstützen zahlreiche Bundesländer einen entsprechenden Vorschlag von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) und Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne). Die notwendige Einstimmigkeit ist aber ungewiss, wie eine Umfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) bei den Justizministerien der Länder ergab. Einige Länder brachten eine Änderung des Strafgesetzbuches ins Gespräch, für die der Bund zuständig wäre.

Am Dienstag beraten Vertreter des Bundesjustizministeriums und der Landesjustizverwaltungen. Den Vorsitz in dem Bund-Länder-Ausschuss hat Hessen. Ressortchef Roman Poseck (CDU) sagte, mögliche Beschlüsse dürften kein Schnellschuss sein, da sie auch grundsätzliche Fragen des Strafrechts und des Strafverfahrens berührten.

Der Vorschlag Buschmanns und Özdemirs greift einen Vorstoß Hamburgs auf. Wer noch ess- oder trinkbare Lebensmittel aus Müllcontainern heraussucht, soll dafür nicht mehr belangt werden, wenn die Umstände das im Einzelfall zulassen. Falls beim Containern andere Straftaten begangen werden wie Sachbeschädigung oder Hausfriedensbruch, ist weiter eine Strafverfolgung vorgesehen.

Justizministerin: Debatte um Containern "Augenwischerei"

Nach Auskunft mehrerer Bundesländer stellen Staatsanwaltschaften bereits heute Verfahren wegen Containerns häufig ein. Die baden-württembergische Justizministerin Marion Gentges (CDU) sagte auf epd-Anfrage, die Möglichkeit bestehe. Deshalb erwarte sie auch nicht, dass der Vorschlag der beiden Bundesminister an der bestehenden Praxis etwas ändern würde. Dass nach Paragraf 153 Strafprozessordung solche Verfahren eingestellt werden können, bestätigte schon 2020 das Bundesverfassungsgericht.

Gentges schätzt die aktuelle Debatte als "Augenwischerei" ein. Tatsächlich gebe es kaum Container, aus denen man etwas herausnehmen könne, ohne einen Hausfriedensbruch oder eine Sachbeschädigung zu begehen.

"Außerdem lösen wir mit dem aktuellen Vorschlag überhaupt kein Problem: Leuten zu ermöglichen, in Containern nach Lebensmitteln zu wühlen, kann nicht unsere Antwort auf die drängenden Fragen der Lebensmittelverschwendung sein",

sagte die Ministerin. Dazu brauche es ein umfassenderes Konzept. Eine Möglichkeit wäre es beispielsweise, dass Supermärkte breit angelegt mit sozialen Einrichtungen zusammenarbeiten, um die in Frage kommenden Produkte gezielt weiter zu verteilen, sagte sie.

Das bayerische Justizministerium kündigte an, die Staatsregierung werde den Vorstoß von Buschmann und Özdemir "sorgfältig prüfen". Die vorgeschlagene Änderung der Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren spiegle "die bisherige Handhabung des geltenden Rechts" durch die Strafverfolger bereits weitgehend wider, teilte das Justizministerium dem Evangelischen Pressedienst (epd) mit.

Lebensmittelverschwendung "so gut es geht" vermeiden

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) sagte, Lebensmittelverschwendung müsse "so gut es geht" vermieden werden. Dies sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ziel müsse sein, "dass noch verwertbare Lebensmittel gar nicht erst in Abfallcontainern landen". Man brauche daher "alternative Abgabeformen". Es müsse großen Lebensmittelanbietern möglich sein, Lebensmittel "freiwillig und ohne Nachteile" an Dritte wie Tafeln abzugeben. Dies ist aber beispielsweise wegen der Produkthaftung nicht so einfach.

Nach Auskunft aus mehreren Bundesländern - auch aus Bayern - stellen Staatsanwaltschaften bereits heute Verfahren wegen Containerns häufig ein. Bundeseinheitlicher Vorgaben bedürfe es nicht, erklärte das schleswig-holsteinische Justizministerium. Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) erklärte, aus ihrer Sicht sollte grundlegend diskutiert werden, ob der Diebstahl weggeworfener Lebensmittel überhaupt strafbar sein sollte.

Ihre Amtskollegin Jacqueline Bernhardt (Linke) aus Mecklenburg-Vorpommern argumentierte ähnlich: "Für mich bleibt wichtig, Containern unter gewissen Voraussetzungen nicht mehr unter Strafe zu stellen. Das werden wir in den nächsten Wochen bundesweit zu diskutieren haben." Auch eine Sprecherin des nordrhein-westfälischen Justizministeriums deutete an, dass man sich eine Änderung im Strafrecht vorstellen könnte: "Der Bundesjustizminister möchte im Bundesrecht offenbar keine Änderungen vornehmen." Deshalb sei der Vorschlag aus Hamburg interessant und werde geprüft.

Buschmann hofft auf Zustimmung

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte dem epd, neben dem Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung könnten die geänderten Richtlinien auch zu einer Entlastung der Justiz beitragen. "Es wäre daher ein gutes Zeichen, wenn die Länder unserem Vorschlag zustimmen würden", sagte er.

Das hessische Justizministerium erläuterte, die formalen Voraussetzungen des Diebstahls seien in der Regel beim Containern erfüllt. Es bestünden aber "berechtigte Zweifel, ob wirklich ein strafwürdiges Verhalten vorliegt". Für eine Straflosigkeit des Diebstahls gebe es in solchen Fällen gute Gründe. Der Eigentümer bringe durch das Wegwerfen der Lebensmittel deutlich zum Ausdruck, diese selbst nicht mehr haben zu wollen. "Anders als in anderen Diebstahlskonstellationen will er die Sache gerade nicht zurück", hieß es.

Zahlen und Fakten zu Containern

Zahlen des Ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zufolge landen in Deutschland jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Der größte Anteil (59 Prozent) stamme aus Privathaushalten, weitere 17 Prozent aus Restaurants und Kantinen. 15 Prozent fielen bei der Verarbeitung an, sieben Prozent im Handel und zwei Prozent in der Landwirtschaft.

Über das Containern liegen keine Statistiken bei Polizei oder Justiz vor. Nicht nur Bedürftige versorgen sich auf diesem Weg mit Essen. Sogenannte Lebensmittelretter machen mit dem Diebstahl weggeworfener Nahrungsmittel immer wieder auf die Verschwendung aufmerksam. Sie fordern ein Essen-Retten-Gesetz nach französischem Vorbild, das Supermärkte verpflichtet, Essen zu spenden.

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