Direkt der erste Auftrag als Lesepate war für Helmut Stoll eine echte Herausforderung: ein geflüchtetes Kind, das ohne Deutschkenntnisse in die erste Klasse kam. "Und so hatte ich nicht nur die Aufgabe, das Kind beim Erlernen der ersten Buchstaben zu unterstützen, sondern auch die ersten Worte der deutschen Sprache zu vermitteln", erinnert sich der heute 71-jährige Ehrenamtliche. ABC-Karten, Bild-Wörterbücher, Puzzle, Mal- und Wimmel-Bücher kamen zum Einsatz.
"Nicht immer verlief die Stunde nach meinem Plan. Ich musste mich auf den Lernprozess des Kindes flexibel und spontan einstellen und die Möglichkeiten nutzen, die sich in der Interaktion mit dem Kind ergaben."
Der Kontakt kam zustande über den Verein "Großeltern stiften Zukunft", der 2004 entstand. Der Impuls dazu kam aus dem damaligen Evangelischen Bildungswerk Nürnberg. Pfarrerinnen und Pfarrer im Ruhestand wollten ihre frei gewordene Zeit nicht nur für ihre eigenen Enkelkinder einsetzen, sondern ganz allgemein Unterstützung für Kinder auf die Beine stellen, erzählt Vorstandsmitglied Gerhard Berndt. Dieser Wunsch spiegelt sich heute in Hausaufgabenbetreuung, in Lesepatenschaften und den Wunsch-Großeltern wider, die für Kinder aus Familien da sind, die nicht von eigenen Großeltern unterstützt werden können. Ähnliche Konzepte gibt es in ganz Deutschland.
Zusammenhalt der Gesellschaft
Gesellschaftlich gehe es dabei auch um die Frage, was Ältere und Jüngere einander geben können, sagt Frieder Lang, Professor für Psychogerontologie an der Universität Erlangen-Nürnberg.
"Da geht es nicht nur um Werte, sondern auch um die Frage, wie das zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen kann und ob Kinder, die aus verschiedenen Gründen keinen Kontakt zu den eigenen Großeltern haben, auf diese Weise vielleicht auch ein positives Altersbild entwickeln können."
Das ehrenamtliche Engagement könne bei den Älteren selbst ebenfalls eine positivere Einstellung zum eigenen Altern bewirken. Sie profitierten durch die Aktivität oft auch gesundheitlich. "Und natürlich fördert das Gefühl, gebraucht zu werden und nützlich sein zu können, den Selbstwert", sagt Lang.
Liebe zu Kindern, Empathie und Geduld
An mehreren Nürnberger Grundschulen sind die Lesepaten aktiv und helfen Kindern, die noch etwas Übung und Unterstützung beim Lesen und Schreiben brauchen. Liebe zu Kindern, Empathie und Geduld gehören zu den wichtigsten Voraussetzungen, weiß Lesepate Helmut Stoll. "Wer sich anhaltend mit den Kindern beschäftigt, wird mit Zuneigung belohnt", sagt er. Noch mehr gilt das für die Wunsch-Großeltern, die oft eine innige Beziehung zu den Familien aufbauen, die sie unterstützen. Gerhard Berndt, der mit seiner Frau schon die zweite Familie als ehrenamtliche Großeltern begleitet, kommt regelrecht ins Schwärmen.
"Die Freude, die man zurückbekommt, wenn man sich mit den Kindern beschäftigt, ihnen vorliest oder sie hier übernachten dürfen - das gibt wahnsinnig viel Kraft."
Schätzungsweise 40 ehrenamtliche Großeltern sind derzeit aktiv. Genaue Zahlen kann Berndt nicht nennen, weil nach der erfolgreichen Vermittlung der Kontakt zum Verein oft einschlafe. Er suche immer händeringend nach älteren Menschen, die sich engagieren wollen. "Im letzten Jahr haben sich acht Großeltern für neue Familien gefunden, wir hatten aber 28 Anfragen", erzählt er. Oft lebten die Großeltern der Familien zu weit weg, um ihre Enkel regelmäßig sehen zu können. Vor allem bei Familien, die aus dem Ausland nach Deutschland gekommen sind, sei der Kontakt zur älteren Generation nicht so einfach.
Allen Kindern guten Start ermöglichen
Für alle, denen das Großelterndasein etwas zu viel wäre, gibt es auch andere Formen des Engagements, denn der Verein hat seine Einsatzgebiete seit der Gründung deutlich ausgeweitet. "Wir wollen im Kern allen Kindern einen möglichst guten Start ins Leben ermöglichen", sagt Berndt. Im vergangenen Schuljahr waren 40 Lesepatinnen und Lesepaten im Einsatz, 34 Kinder wurden nach der Schule in der Hausaufgabenbetreuung unterstützt. Die Standby-Senioren helfen unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten bei Arztbesuchen und Behördengängen. Seit 2021 berät der Verein auch Großeltern, die durch die Pandemie oder aus anderen Gründen den Kontakt zu ihren eigenen Enkeln verloren haben.
Am 14. November feiert der Verein sein 20-jähriges Bestehen im evangelischen Haus eckstein in Nürnberg, unter anderem mit Grußworten von Oberbürgermeister Marcus König (CSU) und der evangelischen Regionalbischöfin Elisabeth Hann von Weyhern. Frieder Lang hält einen Festvortrag zum Thema "Wofür Alt und Jung einander brauchen".
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