Mehrere Hochschulprofessor*innen haben nach Auflösung pro-palästinensischer Protestcamps an deutschen Hochschulen vor weiteren Einschränkungen des Versammlungsrechts gewarnt.

Die Versammlungsfreiheit beinhalte das Recht auf eine abweichende Meinung, Grenzen setze allein das Strafrecht, sagte der Polizeirechtler Clemens Arzt von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR). Hochschulen seien in der Regel staatliche Einrichtungen und von daher "Grundrecht verpflichtet". Die Politik neige dazu, "in aufgewühlten Zeiten", Staatsräson und Verfassung zu verwechseln.

Die Direktorin des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, Miriam Rürup, sagte,

"Repression ist definitiv keine Antwort".

Vielmehr müssten Hochschulleitungen und Lehrende Räume zum Diskutieren schaffen. Eine Einschränkung von Grundrechten wie dem Versammlungsrecht schade letztlich auch Jüdinnen und Juden in Deutschland, sagte die Historikerin an der Universität Potsdam. An die Protestierenden richtete Rürup den Appell, die Verunsicherungen und Ängste jüdischer Studenten im Blick zu haben.

Anliegen der Studierenden angesichts der humanitären Krise in Gaza "nachvollziehbar"

Hintergrund ist die Räumung von Protestcamps, unter anderem an der Freien Universität Berlin (FU) am 7. Mai durch die Polizei. In Reaktion darauf veröffentlichten Lehrkräfte ein Schreiben, das inzwischen von mehr als 1.000 Dozentinnen und Dozenten unterzeichnet wurde. Darin heißt es unter anderem, die Dringlichkeit des Anliegens der Studierenden sei angesichts der humanitären Krise im Gaza-Streifen nachvollziehbar. Grundrechtlich geschützter Protest müsse dabei nicht auf Dialog ausgerichtet sein. Umgekehrt gehöre es zu den Pflichten der Universitätsleitung, dialogische und gewaltfreie Lösungen anzustreben.

Der Berliner Historiker und Spezialist für die Zeit des Nationalsozialismus, Michael Wildt, von der Humboldt Universität (HU) bezeichnete als Mitunterzeichner das Schreiben als "Intervention" zur Deeskalation. Kritik und Streitkultur gehörten zur DNA einer Universität. Antisemitismus könne nicht durch die Polizei bekämpft werden. Vielmehr brauche es an den Hochschulen offene Räume für Diskussionen. Dass dies gelinge, zeigten etwa eine aktuelle Vorlesung zum Nahost-Konflikt an der HU oder das friedliche Management mit pro-palästinensischen Protesten der TU Berlin.

Barenboim wirft Polizei "massenweise Fehlgriffe" vor

Als weiterer Mitunterzeichner betonte Michael Barenboim von der Berliner Said-Barenboim Akademie, Studierende hätten das Recht zu protestieren. Kritik der Bundesregierung an der Beantragung eines internationalen Haftbefehls unter anderem gegen Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wies der Sohn des argentinisch-israelischen Dirigenten Daniel Barenboim zurück. Das Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshofs müsse abgewartet werden, sagte er.

Polizeirechtler Arzt indes betonte, seit der Corona-Pandemie beobachte er eine zunehmend repressive Auslegung und damit eine Einengung der Versammlungsfreiheit durch die Exekutive. So warf er der Berliner Polizeiführung mit Blick auf die Auflösung pro-palästinensischer Protestdemonstrationen in den vergangenen Monaten "massenweise Fehlgriffe" vor. Das Dilemma der Einsatzleitung bestehe darin, ad hoc vor Ort eine schnelle Entscheidung fällen zu müssen.

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