Bist du eigentlich gerne in die Schule gegangen? Das werde ich immer wieder mal in meinem Bekanntenkreis gefragt.

Meine Antwort lautet dann: Ja, eigentlich schon – besonders in die Grundschule. Meine Grundschule war die Montessori-Schule Lüneburg.

Heute weiß ich, dass sowohl die Montessori-Pädagogik als auch die Begründerin Maria Montessori selbst nicht unumstritten sind. Die Pädagogikprofessorin Sabine Seichter äußert in ihrem Anfang 2024 erschienenen Buch "Der lange Schatten Maria Montessoris" deutliche Kritik, während der Bildungsforscher Heiner Barz in einem Beitrag auf News4Teachers dafür plädiert, Fehler der Vergangenheit aufzuarbeiten, ohne das gesamte Konzept zu diffamieren. Doch um diesen Streit soll es in diesem Artikel nicht gehen – sondern um meine persönlichen Erfahrungen mit der Montessori-Pädagogik. 

Zunächst einmal habe ich an der Montessori-Schule in Lüneburg, an der ich von 2010 bis 2014 Schülerin war, einen respektvollen und liebevollen Umgang miteinander erlebt. Diese Werte sind mir bis heute im Umgang mit meinen Mitmenschen wichtig. Schon bei der Einschulung habe ich mich willkommen gefühlt, als ältere Kinder für uns gesungen haben und unsere Klasse von der Lehrerin eine Sonnenblume geschenkt bekam.

Freundschaften sind entstanden, die bis heute halten. Und auch mit den Lehrern fühle ich mich zum Teil bis heute verbunden: Es ist für mich zu einer jährlichen Tradition geworden, meine Grundschule und meine ehemaligen Klassenlehrerinnen zu besuchen. Das ist für mich jedes Jahr ein bisschen wie nach Hause kommen.

Natürlich hatte ich als Grundschülerin keine Ahnung, was Montessori eigentlich bedeutet oder welches Konzept dahinter steckt. In der Praxis bedeutete es für mich, dass ich mir viele Dinge (Lesen, Schreiben, Rechnen) durch Ausprobieren, Entdecken und Wiederholen selbst beibrachte. Ganz nach dem Motto von Maria Montessori:

"Hilf mir, es selbst zu tun. Hilf mir, es selbst zu denken. Hilf mir, ich selbst zu sein.

Vielfältiger Schulalltag  

Ein typischer Schultag an der Montessori-Grundschule begann um 8 Uhr morgens mit der Freiarbeit. In der Freiarbeit konnten wir frei entscheiden, was wir lernen wollten. Natürlich gab es auch gewisse Vorgaben, die von den Lehrern erklärt wurden. Ich persönlich habe in der Freiarbeit viel mit den verschiedenen Montessori-Materialien gearbeitet, zum Beispiel mit den sogenannten Wortartenkästen. In jedem Wortartenkasten gibt es Symbole, die jeweils einer Wortart entsprechen. Diese werden dann auf den entsprechenden Satzteil gelegt. So habe ich die verschiedenen Wortarten spielerisch und anschaulich gelernt.

Es gab auch andere Lernmethoden, die in staatlichen Schulen wahrscheinlich nicht verwendet werden. Das Alphabet habe ich zum Beispiel in Gedichtform gelernt: Zu jedem Buchstaben musste ich ein kurzes Gedicht auswendig lernen und auch verschiedene Dinge zu dem jeweiligen Buchstaben malen – das sollte bei mir verschiedene Lernkanäle aktivieren, wie ich heute weiß.

 

Abbildung mit den ganzen Wortartensymbolen nach Maria Montessori
Übersicht der verschiedenen Wortarten mit Symbolen nach dem Prinzip von Maria Montessori.

Auch die klassischen Gedichte von Joseph von Eichendorff, Rainer Maria Rilke oder Heinrich Seidel habe ich in der Grundschule kennen- und auswendig gelernt. Nachdem ich lesen und schreiben konnte, habe ich auch eigene Geschichten und Gedichte geschrieben, gesetzt und gedruckt. Mit verschiedenen Arbeitsheften habe ich Schreibschrift und Rechnen gelernt und kleine Deutschaufgaben gelöst. 

Um 9.30 Uhr gab es den sogenannten Versammlungskreis. In der Mitte meines Klassenzimmers lag immer ein runder Teppich. Darauf haben wir uns als ganze Klasse versammelt. Wir sprachen über wichtige Ereignisse des Tages, jeder durfte erzählen, woran er in der Freiarbeit gearbeitet hatte. Wer wollte, konnte auch selbst geschriebene Geschichten vorlesen. Ab der zweiten Klasse kamen auch Buchvorstellungen dazu, bei denen jeder sein aktuelles Lieblingsbuch vorstellen durfte. 

Von 10 bis 11 Uhr war große Pause. Meine Klassenkameraden und ich spielten Steine hüpfen, Klatschspiele und Seilspringen oder wir besuchten die jüngeren Kinder im Kinderhaus. Nach der Pause hatten wir entweder eine Stunde Kunst, Sachkunde oder ab der dritten Klasse Englisch. Im Sachunterricht beschäftigten wir uns mit Deutschland und Europa, mit Pflanzen und Wäldern, mit der Steinzeit und dem Mittelalter. Alles immer mit praktischem Ansatz: Für ein Steinzeitprojekt haben wir zum Beispiel einen Bohrer aus Holz gebaut.

Kreativität stand im Vordergrund 

Überhaupt haben wir im Unterricht viel gebastelt, gehäkelt und zum Beispiel gelernt, wie man Kraniche und Sterne aus Papier faltet (Origami). Und es gab immer wieder Ausflüge, zum Beispiel zum Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen und eine Stadtführung durch Lüneburg. Einmal hatten wir auch Besuch von einer Hebamme, die uns alles zum Thema Geburt und wie wir entstanden sind, erklärt hat. 

Um 12 Uhr gab es immer den Obstkorb. Daraus durften wir uns alle ein Stück Obst nehmen. In der Weihnachtszeit haben wir auch selbstgebackene Plätzchen mitgebracht, die wir dann bei Kerzenschein gegessen haben. 

Um 12.10 Uhr hatten wir einmal in der Woche Musikunterricht. An anderen Tagen haben wir Referate gehalten, zum Beispiel über Delfine, die Jahreszeiten oder die symbolische Bedeutung von Farben. Gegen 12:50 Uhr gab es dann immer eines meiner Highlights: Wir durften uns auf den Teppich legen und uns wurde aus einem Buch vorgelesen. Zum Beispiel "Ronja Räubertochter", "Das Sams" oder "Timm Thaler oder Das verkaufte Lachen". Um 13 Uhr war dann Schulschluss. 

Eine Ausnahme von diesem Ablauf bildete der Mittwoch. Vom Frühjahr bis zum Herbst hatten wir an diesem Tag gemeinsame Waldtage. Da durften wir im Wald spielen, unter Aufsicht mit unserem Schnitzmesser Dinge aus Holz schnitzen oder Pflanzen zeichnen. Im Winter hatten wir stattdessen Sportunterricht. Am Ende der dritten Klasse haben wir eine Waldwoche gemacht, bei der wir fünf Tage im Wald gezeltet haben.

Schöne Aktivitäten nach der Schule 

Manchmal bin ich noch in die Übermittagsbetreuung (ÜMI) gegangen. Dort gab es ein gemeinsames Mittagessen und danach Hausaufgabenbetreuung. Danach durften wir noch zusammen spielen. In den Ferien hat die ÜMI auch eine Ferienbetreuung angeboten. Da gab es etwa einen Schwimmkurs oder Aktivitäten zu verschiedenen Themen wie Zirkus, Wald oder Musik. Am Ende der Woche gab es eine Aufführung, bei der wir unsere Projekte vorgestellt haben. Zum Beispiel waren wir im Tonstudio der Leuphana Universität in Lüneburg, wo wir zwei selbstgeschriebene Lieder aufgenommen haben. Einen davon haben wir dann spontan als Zugabe bei einer Aufführung vor allen Eltern gesungen. 

Auch nachmittags gab es außerschulische Aktivitäten, meist im kreativen Bereich. Ein besonderes Highlight war das sechsmonatige klassenübergreifende Big-Band-Projekt in der vierten Klasse mit anschließendem Auftritt beim Sommerfest zum 10-jährigen Schuljubiläum. Ich erinnere mich noch gerne an die Bandproben, das gemeinsame Aussuchen der Songs und wie es war, als Gruppe zwei Songs selbst zu schreiben. Als Abschlussprojekt der Grundschulzeit hat meine Klasse mit einer Theaterpädagogin eines Lüneburger Theaters das Stück "Herr der Diebe" von Cornelia Funke einstudiert und aufgeführt.

Die Erinnerungen werden für immer bleiben 

Wie gesagt, ich möchte hier nicht in die allgemeine Montessori-Debatte einsteigen.

Ich kann nur sagen, dass ich meine Grundschulzeit als sehr schön empfunden habe.

Noten gab es nicht. Auch keine Klassenarbeiten im herkömmlichen Sinn, sondern eher kleine Leistungsüberprüfungen in Mathematik in unseren Arbeitsheften oder Diktate in Deutsch. Statt Zeugnissen bekamen wir zum Ende jedes Schuljahres einen Brief von unserem Klassenlehrer, in dem unsere Lernfortschritte beschrieben wurden. Zum Wechsel auf die weiterführende Schule bekamen wir zusätzlich noch ein Übertrittszeugnis inklusive Noten.

Grundsätzlich stand die Freude am Entdecken und am offenen Zugehen auf Menschen im Vordergrund. Oder wie es in der Überschrift einer Absolventen-Studie der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft von 2022 heißt:

"Man lernt Sachen, die man wirklich braucht."

Viele Menschen wünschen sich, dass unser Schulsystem mehr auf die individuellen Fähigkeiten und Bedürfnisse der Schüler eingeht. Dafür ist Montessori meiner Meinung nach ein gutes Vorbild.

Ich habe schon früh gelernt, selbstständig zu sein und Verantwortung zu übernehmen und auch gut im Team zu arbeiten.  Diese Eigenschaften kann ich auch heute noch anwenden - zum Beispiel bei meiner ehrenamtlichen Arbeit in der Kirche oder im Bundesfreiwilligendienst. 

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