Unscheinbar duckt sich der Flachbau zwischen die Hochhäuser am Sudermannbogen im Münchner Stadtteil Neuperlach. Doch die Fenster des Stadtteilbüros sind zugepflastert mit bunten Plakaten, die den Passanten von weitem entgegen leuchten: Sie verkünden die Termine von Kleiderkammer und Krabbelgruppe, laden ein zu Spieltreffs, Seniorenstammtisch oder Computerclub.

Natalie Geiger leitet die Einrichtung der Diakonie München und Oberbayern. "Bei uns findet jeder seinen Platz", sagt die junge Frau.

Alltagshilfe in München-Neuperlach

Das gilt für die Besucherinnen und Besucher, die vor allem aus den umliegenden Hochhäusern kommen. Wer Hilfe bei Alltagsproblemen braucht, findet sie bei der "Kirchlichen Allgemeinen Sozialarbeit", kurz KASA. Von Jobcenterthemen über häusliche Gewalt und Mietproblemen bis zur Klärung von Aufenthaltsfragen kommt alles auf den Tisch der Spezialisten.

Einen Platz für Menschen, die Anschluss suchen, bietet wiederum der "Treffpunkt" des Stadtteilbüros. Den größten Bedarf haben Senioren und Familien, die erst seit Kurzem in Deutschland sind. "Die Rollenverteilung ist dort oft sehr klassisch: Der Mann arbeitet sechs Tage im Schichtbetrieb, die Frau bleibt mit den Kindern allein daheim", sagt Geiger. In den Krabbelgruppen finden die Mütter Anschluss, verbessern mit der Zeit ihr Deutsch und werden nebenbei weniger abhängig von Partner oder Familie.

Diakonie München Oberbayern

Bei den Senioren wiederum sei die Einsamkeit oft "massiv". "Viele haben in den 1970er-Jahren hier eine Wohnung gekauft; jetzt ist der Partner tot oder im Pflegeheim, und sie kommen kaum noch raus."

Das Seniorenessen am Donnerstag sei für viele der einzige Termin in der Woche, um unter Menschen zu kommen. Entertainment interessiert dabei die wenigsten, berichtet Maria Düllmann. Die 74-Jährige kocht seit zwölf Jahren einmal im Monat für die 25 Gäste. "Die meisten wollen einfach nur Ratschen", weiß sie.

Gegen die Einsamkeit

Doch was ist mit jenen, die nicht mal mehr den Weg zum Seniorennachmittag bewältigen können? Um sie kümmern sich die Ehrenamtlichen im "Projekt häusliche Versorgung". Tina Tiikkainen zum Beispiel besucht jede Woche zwei Seniorinnen und ein Ehepaar. "Die beiden sind 80 Jahre alt und wohnen im dritten Stock ohne Aufzug", schildert die 62-Jährige die Situation.

Eine Zeit lang konnte die Ehefrau noch mit zum Einkaufen, doch jetzt schafft sie die Treppen nicht mehr. Tiikkainen geht für ihre Schützlinge zum Supermarkt, in die Apotheke, zur Post. Etwa zwei Stunden wendet sie pro Haushalt dafür auf. "Manchmal ist es mehr", sagt die Ehrenamtliche; "meistens", schiebt sie mit einem Lachen nach.

Helfen aus Überzeugung

Düllmann und Tiikkainen helfen aus doppelter Überzeugung. Natürlich wollen sie die unterstützen, die einsam und hilfsbedürftig sind. Aber sie wollen auch selbst aktiv bleiben, ihre Gaben einbringen. "Ich mach' das, solange ich kann - man rutscht dann nicht in die Einsamkeit", sagt Düllmann, die nach dem Tod ihres Mannes schon lange allein lebt. Neben der Diakonie engagiert sie sich noch bei der katholischen Frauengruppe, sie geht wandern und macht Sport. "Wenn du nichts zu tun hast, fängst du an nachzudenken, was dir fehlen könnte", sagt die ehemalige Krankenschwester trocken.

Natalie Geiger bestätigt das. Obwohl die Ehrenamtlichen des Stadtteilbüros häufig im gleichen Alter seien wie die Besucherinnen und Besucher, wirkten sie viel fitter: "Ehrenämter sind eine gute Prävention gegen Krankheit, sie bringen soziale Kontakte und halten geistig aktiv."

Ehrenamt als Präventionsmaßnahme

Der Wunsch, sich für die Mitmenschen zu engagieren, verbinde die rund 90 Ehrenamtlichen im Sudermannbogen. "Es ist egal, ob jemand Ärztin ist oder Analphabet, denn der gemeinsame Nenner ist der gleiche", sagt Geiger.

Mit Ideenreichtum und Networking bieten Einrichtungen wie das Stadtteilbüro Neuperlach dem Phänomen "Einsamkeit" die Stirn. 15 davon gibt es im Stadtgebiet, dazu kommen die 33 Alten-Service-Zentren. Um noch mehr Einsame zu erreichen, wären mehr Fachkräfte in der aufsuchenden Sozialarbeit nötig, meint Natalie Geiger.

"Aber auch die Ehrenamts-Strukturen kann man definitiv noch ausbauen", sagt sie. Damit jede und jeder einen Platz findet in der Gemeinschaft.

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