Peter Thiel ist vieles: PayPal-Mitgründer, früher Facebook-Investor, Vordenker der amerikanischen Rechten, Finanzier des heutigen Vize-Präsidenten der USA, JD Vance. Doch was ihn wirklich antreibt, bleibt oft verborgen hinter der verspiegelten Fassade des Silicon Valley.
Denn Thiel hält sich gerne bedeckt. Er ist aber nicht nur Libertärer und Milliardär – er ist auch ein religiöser Denker mit einer zunehmend apokalyptischen Weltsicht.
Thiel wurde 1967 in Frankfurt geboren, wuchs in Kalifornien auf und zählt heute zu den einflussreichsten Tech-Investoren der Welt. Doch seine Weltanschauung speist sich nicht allein aus Marktanalysen und technologischer Euphorie – sondern auch aus seiner eigenwilligen Interpretation der Bibel, Apokalypse und einem tiefen Misstrauen gegenüber liberaler Demokratie.
Christentum und Fortschritt – eine unheilige Allianz?
Peter Thiel wuchs in einem evangelikal geprägten Umfeld auf. Auch wenn er sich später von vielen dogmatischen Elementen des amerikanischen Evangelikalismus distanzierte, blieb seine religiöse Ader spürbar – und wurde in den letzten Jahren immer deutlicher.
Bereits 2014 sprach Thiel beim Veritas Forum in San Francisco mit dem Theologen N.T. Wright über die angeblichen Parallelen zwischen christlichem Glauben und technologischem Fortschritt. Beide, so Thiel, teilten eine Hoffnung auf eine radikal andere Zukunft.
In einer Zeit, in der Fortschrittsskepsis, Zynismus und technologische Müdigkeit überhandnähmen, böte das Christentum eine visionäre Alternative: den Glauben an Transformation, an Rettung, an das Neue.
"Schaue nach oben, nicht zur Seite"
In einem Gespräch mit der Schweizer "Weltwoche" 2020 präzisierte Thiel seine Diagnose: Der Verlust des Transzendenten sei ein zivilisatorischer Rückschritt. Ohne Gott beginne der Mensch, sich obsessiv mit seinem Nachbarn zu vergleichen. Eine "hypermimetische Gesellschaft" sei die Folge, eine Gesellschaft also, in der Nachahmung (Mimesis) eine übersteigerte, allgegenwärtige Rolle spielt. Voller Neid, Missgunst und geistiger Uniformität.
Besonders scharf fiel seine Kritik an der gegenwärtigen Gesellschaft aus: Die Zehn Gebote, so Thiel, seien in Wahrheit eine Anleitung zur geistigen Unabhängigkeit. Wer nach oben blicke – auf Gott – bewahre sich Autonomie, Kreativität und Mut zum Andersdenken:
"Die Verabschiedung von den Zehn Geboten, die Verabschiedung von Gott führen zum Herdenverhalten, zu einem falschen, aufgezwungenen Konsens."
Es falle dann sehr schwer, diesen Konsens zu brechen, denn es gebe nichts Transzendentes mehr, das einem Halt gibt. Davon ausgehend nannte Thiel religiöse Menschen die letzten Nonkonformisten: "Sie lassen sich weniger unter Gruppendruck setzen."
Religion sei nicht länger ein Bollwerk gegen Freiheit, sondern ihre letzte Quelle.
Hyperchristentum, Kommunismus und Opferkult
Von christlichen Werten wie Nächstenliebe oder christlicher Moral hält Thiel dagegen offensichtlich weniger. So diagnostizierte er einen seiner Ansicht nach gefährlichen Überbietungswettbewerb in moralischer Empörung – eine "Homogenisierung des Denkens und Sprechens", die er als "Hyperchristentum" bezeichnete.
Seine These: Bewegungen wie Antirassismus oder der Kommunismus seien säkulare Deformationen des Christentums, die das biblische Motiv der Opferliebe radikal übersteigerten – bis zur Selbstzerstörung.
"Je intensiver man sich um Opfer kümmert", rechnete Thiel vor, "desto mehr Opfer produziert man." Die Folge sei ein moralisches Nullsummenspiel, in dem ständig neue Täter*innen ausgemacht werden müssten.
Diese Argumentation klingt nur bedingt schlüssig und vor allem wenig christlich. Doch sie passt zu Thiels libertärer Aversion gegen jede Form von Gemeinschaft, Gesellschaft und Kollektivismus – oder auch nur Verantwortung.
Vom Libertären zum Apokalyptiker
Spätestens seit 2025 ist klar: Thiels Weltbild ist nicht nur religiös, sondern apokalyptisch. Seine Beteiligung an der katholischen Gebets-App "Hallow", die öffentlichkeitswirksam beim Super Bowl beworben wurde, wirkt auf den ersten Blick wie ein kurzes Aufflackern spiritueller Geschäftstüchtigkeit. Doch hinter der Investition steckt ein tieferer Plan.
Thiel sieht die Menschheit an einem Wendepunkt – gefangen zwischen Atomkrieg, Killer-KI und einem "Welteinheitsstaat", den er als Antichrist identifiziert. Institutionen wie die EU oder UN gelten ihm als Vorboten einer globalen Überwachungsdiktatur, die den Menschen unter dem Deckmantel von "Frieden und Sicherheit" unterjochen wolle.
Seine einzige Hoffnung auf Rettung ist ein Konzept aus der christlichen Apokalyptik: der Katechon, der "Aufhalter". Dieser geheimnisvolle Begriff aus dem 2. Thessalonicherbrief wurde von Carl Schmitt – dem umstrittenen Juristen der Weimarer Republik, ebenfalls ein rechter Vordenker – als theologische Legitimation für politische Macht gedeutet, die das vermeintliche Chaos zurückhält.
Thiel greift diesen Gedanken auf: Nur eine starke Ordnung könne den Antichristen aufhalten. In der postliberalen Theorie, die er mit Weggefährten wie Curtis Yarvin (der die USA in eine Monarchie verwandeln will) oder Vize-Präsident JD Vance verfolgt, geht es um eine radikale Neuausrichtung der westlichen Welt: Die Demokratie – in ihren liberalen Ausprägungen – ist für ihn Teil des Problems, nicht der Lösung.
Macht durch Religion – der Aufstieg von JD Vance
Dass Thiels religiöse und politische Vorstellungen längst praktische Konsequenzen haben, zeigt sich an JD Vance. Der Autor von "Hillbilly Elegy" und einstige Trump-Kritiker wurde mithilfe von Thiels Millionen zum Senator und später Vize-Präsidenten.
In Reden forderte Vance, der zum Katholizismus konvertiert ist, 2022 eine "amerikanische politische Religion" – ganz in Thiels Sinn. Die aktuelle amerikanische Führungsschicht müsse man "komplett ersetzen, wie einen Tumor herausreißen", sagte Vance.
Yarvin geht noch einen Schritt weiter: Er plädiert für eine amerikanische Monarchie. Vance sei ein geeigneter Kandidat für eine neue Ordnung, die nicht mehr auf Gleichheit und Diskussion beruht, sondern auf Autorität und Erlösung.
Thiel arbeitet im Schatten. Wo andere die politische Bühne lieben – Trump, Elon Musk, Tucker Carlson – zieht Thiel die ideologischen Linien hinter den Kulissen. Seine Investitionen, seine Interviews, seine Allianzen fügen sich zu einem kohärenten Weltbild: Die liberale Demokratie hat versagt. Nun braucht es eine postliberale Ordnung – gestützt auf religiöse Transzendenz, technologische Vision und politische Allmacht.
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Aus christlicher Perspektive…
Aus christlicher Perspektive stellt sich Thiels Bibelverständnis als Verhöhnung Christi Seligpreisungen in der Bergpredigt und sein vorgeblicher Glaube als pure Heuchelei dar. Politisch gesehen zeigt allein der Rückgriff auf Carl Schmitt Thiels ideologische Nähe zum Faschismus. Deutlicher kann die Gefährlichkeit der derzeitigen US-Regierenden für Demokratie und Menschenrechte kaum zu Tage treten.