Am Stammtisch ist bei dieser Frage die Gefahr groß, dass polemisiert statt sachlich argumentiert wird: Braucht es die Kirchen noch? Im Seminar "Theologie für Greenhorns" an der Uni Würzburg werden in diesem Sommersemester 16 Studentinnen und Studenten nicht-theologischer Fächer offen und kontrovers hierüber diskutieren. "Dies werden wir auf der Grundlage von Fakten tun", sagte Katharina Leniger vom Lehrstuhl für Christliche Sozialethik zum Auftakt des Seminars dem Sonntagsblatt. Die 31-Jährige schreibt aktuell ihre Doktorarbeit über Ethik im Justizvollzug.

"Spiritualität wird auch an Lebenswenden nachgefragt."

Frau Leniger, Weihnachten, Nikolaus und Ostern sind christliche Feste, die von fast allen Menschen auf irgendeine Weise gefeiert werden. Egal, ob sie religiös sind oder nicht. Erschöpft sich hierin inzwischen der gesellschaftliche Nutzen von Kirche und Religion?

Katharina Leniger: Natürlich sind Hochfeste gern gesehene Feiertage. Spiritualität wird allerdings auch an Lebenswenden nachgefragt. Zum Beispiel, wenn Hochzeiten anstehen. Oder im Sterbefall. Ich selbst beschäftige mich aktuell mit der Gefängnisseelsorge und kann sagen, dass seelsorgerische Anfragen im Gefängnis Konjunktur haben. Weiter ist theologische Kompetenz im psychosozialen Bereich gefragt. Das bekomme ich mit, weil ich seit einem Jahr ehrenamtlich im Gesprächsladen der Würzburger Augustiner mitarbeite. Darüber hinaus ist an die Klinikseelsorge zu denken oder auch an die Ehe- und Familienberatung. In all diesen Feldern sind die christlichen Kirchen als Player immer noch mit dabei.

Wer an Ihrem Seminar teilnimmt, muss nicht wissen, was der jetzige Stand der Forschung ist. Es braucht für die Teilnahme nicht einmal theologische Basics. Was bringt denn der Austausch von "Greenhorns" über theologische Fragen?

Wir haben mit dieser Seminarreihe im Wintersemester 2020/2021 begonnen. Unter kompetenter Anleitung ist es möglich, im Laufe eines Semesters tiefes Wissen zu erwerben. In unserem Seminar geht es vor allem darum, über Fragen von Theologie und Gesellschaft ins Gespräch zu kommen und auch mal andere Meinungen einzuholen. Die Studentinnen und Studenten erleben, inwieweit ihre eigenen Argumente tragfähig sind. Wir dozieren übrigens zu zweit. Ich komme von der christlichen Sozialethik, mein Kollege vom Lehrstuhl für Pastoraltheologie. Dadurch gelingt es schon einmal, zwei sehr unterschiedliche Blickwinkel einzunehmen. Gemeinsam ist uns, dass wir in beiden Fächern unglaublich interdisziplinär arbeiten.

"Im besten Fall nehmen an unserem Seminar christlich geprägte, freikirchliche, atheistische, agnostische und muslimische Studierende teil."

In Ihrem Seminar wird es sicherlich nicht darum gehen, Lösungen für die zweifellos stark gebeutelten Kirchen zu entwickeln. Was wäre denn am Ende des Sommersemesters für Sie ein gutes Resultat?

Das Ziel heißt: Erkenntnisgewinn. Erreicht wäre dieses Ziel, wenn Studierende nach dem Seminar mit einem informierteren Blick durch die Stadt gehen oder Diskurse in den Medien verfolgten. Es geht darum, differenzierter wahrzunehmen und selbst Differenzierungen einzubringen. Das ist dann das Gegenteil vom Stammtisch: Nach dem Seminar werden die Studierenden in theologischen Diskussionen fähig sein, darauf hinzuweisen, dass man an der ein oder anderen Stelle auch eine andere Perspektive einnehmen könnte. Diese Kompetenzen werden in einer spannenden Gruppe erworben. Im besten Fall nehmen an unserem Seminar christlich geprägte, freikirchliche, atheistische, agnostische und muslimische Studierende teil.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden