Der Penzberger Imam Benjamin Idriz steht für einen aufgeklärten Islam und für Demokratie. "Wir wollten ein positives Bild des Islam in der Öffentlichkeit präsentieren, weil Islam oft mit Islamismus verwechselt wird", sagt Lukas-Pfarrerin Beate Frankenberger. Als Zeichen "des religiösen Dialogs und der Toleranz" zur "Internationalen Woche gegen Rassismus" lud sie für die Münchner evangelische Gemeinde den Muslim zu einer Kanzelrede ein.

Dass es für eine solche interreligiöse Initiative Mut braucht, beweisen die über 70 teils hasserfüllten E-Mails von "christlichen Fundamentalisten und Rechtspopulisten", so Frankenberger, die der Pfarrerin vor und nach der Predigt von Idriz in St. Lukas ins elektronische Postfach flatterten.

Kanzelrede von Benjamin Idriz sorgt für hasserfüllte Reaktionen

"Ich habe mir nicht vorstellen können, mit welchem Hass und welcher Radikalität Menschen in dieser Stadt so reagieren würden", sagt Beate Frankenberger. "Ihr seid Brandstifter und Gotteslästerer", musste sie beispielsweise lesen, und sie habe sich "vom Antichristen verführen" lassen, "Möge Gott Mekka vernichten"; vom "Lügen-Imam" als "Wolf im Hühnerstall" und seinem "süßlich-klebrigen Geseiere" war da die Rede. "Das lässt einen nicht unbeschadet, da schläft man schlechter", sagt Beate Frankenberger, die die Mails an die Polizei weiterleitete. Diese beschloss, den Gottesdienst mit seinen rund 300 Besuchern aus Sicherheitsgründen unter Polizeischutz stattfinden zu lassen.

Bewusst habe sie für den Gottesdienst das Gleichnis vom barmherzigen Samariter gewählt, sagt Beate Frankenberger. Denn darin seien es nicht die angeblich Rechtgläubigen, die helfen und das Rechte tun, sondern der Fremde.

Selbstkritische Töne von Idriz fehlen in Kanzelrede

Wirklich selbstkritische Töne angesichts des weltweiten Islamismus, der nachweislich vielen Menschen im Westen Angst macht, schlug der moderate Muslim Idriz auf der Kanzel von St. Lukas nicht an. Eher bekannte Melodien wie: "Hass und Gewalt stehen in krassem Gegensatz zu den theologischen Prinzipien des Islam." Die drei Religionen, die in Europa aufeinandertreffen, müssten sich aufeinander stützen. Sie müssten für Bildung, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Menschenwürde eintreten. Die Religionen sollten wetteifern um das Gute.

Die Hass-Blogger, die Benjamin Idriz' Kanzelrede im Internet auf den Plan gerufen hat, lassen derlei Töne unbeeindruckt. Als "Höhepunkt des Islam-Appeasements der Evangelischen Kirche" bezeichnete etwa Michael Stürzenberger, ehemals Sprecher der Strauß-Tochter Monika Hohlmeier und heute Aktivist der Website "Politically Incorrect", den Auftritt des Penzberger Imams in der Lukaskirche. Die evangelische Kirche schmiege sich wie in der Zeit des Nationalsozialismus an eine totalitäre Ideologie an, so der 2011 aus der CSU ausgetretene Stürzenberger auf der umstrittenen Internet­site, der der Spiegel "intensive Kontakte ins rechtsradikale Milieu" bescheinigt hat.

Islam-Kritiker sollten über "Bosheit und Lästerung" nachdenken

Bei seinen Tiraden beruft sich Stürzenberger auf Martin Luther: Dieser würde "sich im Grabe rumdrehen", wüsste er vom Imam in der Lukaskirche. Schließlich habe der Reformator selbst gesagt: "Halt fest, und sei sicher, dass der Türk gewisslich der letzte und ärgste Zorn des Teufels wider Christum sei."

Doch der "Islam-Kritiker" Stürzenberger zitiert Luthers Satz aus dem Jahr 1529 nur halb - und aus dem Zusammenhang gerissen. Als sich der Reformator damals erstmals mit dem Islam beschäftigte, belagerten die Türken gerade Wien. Europa war durch den osmanisch-islamischen Angriffskrieg politisch existenziell bedroht. Luther argumentierte jedoch stets theologisch: Er deutete die Türkengefahr als "Gottes Rute und eine Plage ... über die Sünde, beide der Christen und Unchristen, oder falschen Christen" - und als ein endzeitliches Zeichen. Der Grund für die göttliche Züchtigung? "Weil Deutschland so voll Bosheit und Lästerung ist, dass zu hoch Übermacht ist und in Himmel schreiet, kanns nicht anders werden, wo wir uns nicht bessern, und ablassen von Verfolgung und Lästerung des Evangelii, wir müssen herhalten, und eine Staupe leiden."

Über die eigene "Bosheit und Lästerung" nachzudenken, das würde Luther heute vielleicht auch manchem "Islam-Kritiker" ins Gebetbuch schreiben.