Nennen Sie mir drei Gründe, warum es sich auch heute noch lohnt, Theologie zu studieren.
Anna Weingart: Erstens hat man die Möglichkeit, sich mit diesen ganz großen Fragen zu beschäftigen, für die man sonst wahrscheinlich in seinem Leben nicht mehr viel Zeit hat. Was kommt nach dem Tod? Warum sind wir eigentlich hier? Wer bin ich, existiere ich überhaupt? Existieren die Menschen um mich herum und nicht nur in meinem Kopf? Und mit welcher Haltung kann ich mein Leben gut leben, ohne Vorstellungen zu verfallen, die mir nicht guttun? Ich glaube, diese Themen kann man auch in einem Philosophiestudium angehen. Aber was zweitens am Theologiestudium klasse ist, ist, dass man so frei in der Wahl der eigenen Studienschwerpunkte ist. Und drittens: theologische Fakultäten sind so klein, dass man schnell Leute kennenlernt.
"Eine Mischung aus Bauchgefühl und der Tatsache, dass ich eine Frau bin"
Sie sind katholisch aufgewachsen. Warum haben Sie dann evangelische Theologie studiert?
Ehrlich gesagt, das war eine Mischung aus Bauchgefühl und der Tatsache, dass ich eine Frau bin. Im Nachhinein ist ja immer schwer zu sagen, wie es wirklich war. Ich erinnere mich aber, dass ich den Gedanken hatte: 'Nur für den Fall, dass ich mir das mit dem Pfarramt vorstellen könnte, studiere ich lieber evangelisch.' Denn im katholischen wäre mir diese Chance ja nicht offen gestanden.
Wie sieht der Alltag einer Vikarin aus?
Jeder Tag ist anders. Wie sieht so ein durchschnittlicher Tag aus? Meist beginne ich um 10 Uhr und ende zwischen 18 und 23 Uhr. Oft gehe ich morgens erst einmal in meine Gemeinde und schaue, wer da ist und welche Themen anstehen. Wir haben Besprechungen, ich bereite Gottesdienste vor und andere Veranstaltungen, ich beantworte E-Mails. Heute bin ich zum Beispiel noch mit einem älteren Ehepaar verabredet, auf Kaffee und Kuchen, die beiden wollen sich mal unterhalten. In der Seelsorge-Schwerpunktphase würde ich z.B. auch ins Krankenhaus gehen und dort mit den Leuten reden. In der jetzt kommenden Schwerpunktphase zur Bildung werde ich in der Schule unterrichten.
"In den Kirchen sitzen ja heute noch weniger Menschen, als offiziell Kirchenmitglieder sind"
Wie wird sich Kirche Ihrer Meinung nach in Zukunft verändern, wenn man den Klimawandel, die Kirchenaustritte oder den demografischen Wandel betrachtet?
Zunächst einmal wird es einfach so weiter gehen: Menschen werden aus der Kirche austreten. Aber in den Kirchen sitzen ja heute noch weniger Menschen, als offiziell Kirchenmitglieder sind. Das heißt: Uns kann da gar nicht so viel schocken. Wir sitzen ja jeden Sonntag schon vor der harten Realität.
Spannend wird’s, wenn der Tiefpunkt erreicht ist. Wie machen wir dann weiter? Ich glaube, im Großen und Ganzen wird das Gemeindeleben selbst sich gar nicht so sehr verändern. Wir sind jetzt schon weniger. Wir werden weiter zusammenrücken. Was sich ändert, ist der öffentliche Blick auf Kirche.
"Jugendliche können der Kirche am meisten helfen, wenn sie sich selbst als Kirche verstehen"
Was kann die junge Generation tun, um die Kirche zu erhalten?
Die Frage gefällt mir. Normalerweise wird immer gefragt, was die Kirche tun kann, um die jüngere Generation einzubinden. Und das ist, denke ich, schon Teil meiner Antwort: So herum, wie Sie die Frage stellen, sind ja die Jugendlichen die Akteur*innen, die etwas verändern können. Ich würde mir genau das wünschen: dass die Jugendlichen nicht das Gefühl haben, 'Da gibt es irgendwo diese Institutionen, Kirche', sondern dass das Selbstverständnis ist: 'Wir sind diese Kirche.' Und die muss nicht zu uns kommen, sondern die ist da, wo wir sind.
Ich glaube, Jugendliche können der Kirche am meisten helfen, wenn sie sich selbst als Kirche verstehen und sie so leben, wie ihr Glaube ihnen das richtig scheinen lässt.
Was war für Sie ein prägendes Erlebnis in Ihrer Kommunionszeit oder Ihrer Firmungszeit?
Für mich war sehr prägend, dass ich Ministrantin war. Das war cool, weil man eigene Aufgaben hat und - gefühlt - etwas Wichtiges zum Gottesdienst beitragen kann. Man fühlt sich als gesehener Teil der Gemeinde und bekommt mit, wie der Gottesdienst abläuft.
Bei der Erstkommunion war prägend, dass so viele Menschen dieses Fest mit mir gefeiert haben. Auch Leute, die sonst gar nicht so viel mit Kirche am Hut hatten, waren da dabei in diesem Moment, in dem etwas so Wertvolles, wichtiges passiert ist.
In der Firmvorbereitung war dann weniger der Glaube und mehr das Erwachsenwerden Thema. Fragen wie: Wer bin ich eigentlich? Was macht mich aus? Was wünsche ich mir für die Zukunft? Wir haben mit den älteren Jugendlichen über Sexualität gesprochen. Das war gar gut gemacht, es gab eine sehr vertrauensvolle Atmosphäre für diese Themen.
"Ich wünsche mir, dass alle Menschen religiöse Bildung erhalten"
Haben Sie persönlich einen Wunsch, was in der Kirche mehr gefördert oder verändert werden sollte?
Ich habe einen Wunsch, der vielleicht seltsam wirkt: mehr religiöse Bildung. Das klingt schnell von oben herab, so ist es nicht gemeint. Ich habe in meinem Leben viel religiöse Bildung erfahren, und das war reines Glück. Ich konnte nichts dafür. Mein Umfeld hat mir zufälligerweise viele theologische und religiöse Zusammenhänge erklären können. Und dadurch wusste ich zum Beispiel, was da passiert im Gottesdienst und konnte mehr damit anfangen als meine Freundinnen. Ich wünsche mir, dass alle Menschen religiöse Bildung erhalten. Nicht, um wieder mehr Menschen in der Kirche zu haben. Glaube braucht kein Wissen, verstehen Sie mich nicht falsch. Aber allen Menschen soll die gleiche Chance auf religiöse Bildung geboten werden, weil es doch einfach so schön sein kann!
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