Franziskus wird uns vor allem aufgrund seiner Glaubwürdigkeit in Erinnerung bleiben. Gegen einen Zeitgeist des Zynismus und der virtuellen Realitäten hob sich Franziskus stets durch seine Authentizität ab. Franziskus hat mit seiner bescheidenen Volksnähe Menschen berührt und überzeugt.
Das bleibende Bild von seinem Belgienbesuch 2024 bleibt für mich der Kontrast zwischen den schweren schwarzen Limousinen der Personenschützer und dem kleinen weißen Fiat Cinquecento, von dessen Beifahrersitz Papa Francesco die Menschen aus dem offenen Fenster grüßte.
In Rom lebte Franziskus nicht in einem päpstlichen Palazzo, sondern in einem frugalen Apartment im Gästehaus Santa Marta. Seine erste Reise als neugewählter Papst im Juli 2013 galt der Flüchtlingsinsel Lampedusa. Franziskus fühlte sich sichtlich wohler in der Begegnung mit Menschen an den Rändern der Gesellschaft als in Gegenwart der Reichen und Mächtigen dieser Welt.
Man nahm ihm die Jesus-Nachfolge ab
Wie sein Namenspatron war Franziskus einer der ganz wenigen geschichtlich prominenten Personen, denen man die Selbstverortung in der Nachfolge des Jesus von Nazareth abnahm. Franziskus trat nicht auf als der Vertreter Christi auf Erden, dem die Herde der Gläubigen blinden Gehorsam schuldet. Aber man nahm ihm ab, dass er mit seinem Herrn im dauerhaften Austausch stand und sich im täglichen Gebet auf dessen Vorbild besann.
Wenn Franziskus die Gläubigen immer wieder bat, für ihn zu beten, dann tat er dies, weil er überzeugt war, dass er selbst jede Menge Fürbitte und göttliche Unterstützung nötig hatte. Wenn Franziskus anderen die Füße wusch, dann war dies bei ihm keine leere Symbolhandlung, sondern authentischer Ausdruck einer ganzheitlichen Ausrichtung auf Jesus Christus hin, zu der auch seine zahlreichen Schriften ermutigen wollen.
Ein epochaler Reformer
Franziskus war ein epochaler Reformer. Er hat die tiefe Krise der katholischen Kirche ernst genommen. Er hat sich aber von der Last der sexualisierten Missbrauchsfälle und anderer kirchlicher Verirrungen nicht überwältigen lassen. Stattdessen hat er die desolate Lage der Kirche akzeptiert, hat mit nüchternem Blick und scharfem Geist die kirchlichen Missstände analysiert, und ist beherzt von der Diagnose zu den nötigen Reformen übergegangen.
Die Einberufung der Bischofssynode, der ganze synodale Prozess mit seiner ihm ganz eigenen Spiritualität und Methode, und schließlich die theologischen Erträge dieses Prozesses – all dies stellt das bleibende Vermächtnis von Franziskus dar. Die katholische Lehre von der Kirche wurde auf Franziskus Betreiben von der Bischofssynode neu formuliert. Dieses Ergebnis sollte man nicht unterschätzen. Dahinter wird es auch unter künftigen Päpsten kein Zurück mehr geben.
Franziskus diagnostizierte den Klerikalismus als das Grundübel, an dem die katholische Kirche krankt. Das Verhältnis von Hirten und Herde sei aus dem Lot geraten, schreibt er bereits in seiner ersten Enzyklika, "Evangelii Gaudium" (Von der Freude des Evangeliums).
Klerikalismus bedeutet, dass das Sakrament der Priesterweihe den Zugang zu einer mächtigen geistlichen Hierarchie eröffnet, die selbstherrlich über das Kirchenvolk herrscht, und diesem weder Transparenz noch Rechenschaft zu schulden glaubt. Klerikalismus legitimiert die Priesterherrschaft und degradiert die nicht-ordinierten Gläubigen zu Christen zweiter Klasse. In solch kontrollarmen Strukturen lassen Übergriffe und Missbrauch nicht lange auf sich warten.
Franziskus wollte Kirche den Klerikalismus austreiben
Mit seiner Theologie und Praxis der Synodalität will Franziskus der Kirche den Klerikalismus austrieben. Durch die theologische Neubewertung der Taufe als dem grundlegenden Initiationssakrament aller Christen entkräftet der Synodalitätsdiskurs die Unterscheidung zwischen Priestern und Laien und öffnet damit die Kirchenleitung für neue Partizipationsformen aller Mitglieder des Kirchenvolkes.
Durch die Besetzung wichtiger Positionen in der römischen Kurie mit Nicht-Priestern – darunter vor allem auch mit Frauen - hat Franziskus die theologische Neuorientierung des katholischen Lehramts in praktische Personalmaßnahmen übersetzt.
Der synodale Reformprozess hat in der weltweiten Kirche gerade erst begonnen. Die Synode hat damit entscheidende Weichenstellungen für die Zukunft der katholischen Kirche vorgenommen. Damit sind noch lange nicht alle die in der Kirche oftmals hitzig diskutierten Fragen beantwortet. Aber die synodal getroffenen Weichenstellungen versprechen neue Strukturen und eine neue Organisationskultur – manche sprechen von einer neuen Spiritualität – mit Hilfe derer auch schwierige Fragen behandelt werden können.
Die synodale Kirche, die Franziskus hinterlässt, hat ihre Krise noch nicht überwunden. Doch Franziskus hinterlässt eine Kirche, die theologisch und spirituell zumindest eine Ahnung davon entwickelt hat, wie sie die allgemeine Malaise, die zahlreichen Missbrauchsskandale und das zentrale Übel des Klerikalismus beherzt in Angriff nehmen könnte.
Die Kirche trauert anlässlich des Abschieds von Papst Franziskus. Aber sie hätte nur dann einen Verlust zu beklagen, wenn sie das wertvolle Vermächtnis seines Pontifikats ausschlagen würde.
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