Ein stattliches Haus nahe der Kirche mitten im Dorf, im Garten ein Apfelbaum: Wer durch kleinere Ortschaften in Mittelfranken fährt, begegnet dort noch dem idealtypischen evangelischen Pfarrhaus. Oft bildeten die Häuser den geistigen Mittelpunkt des Orts. Hier lebte der akademisch gebildete Pfarrer mit seiner Familie. Die Geschichte der evangelischen Pfarrhäuser stellt nun ein 400-seitiger Bildband aus dem Münchner Schiermeier Verlag vor.
Das Buch "Evangelische Pfarrhäuser in Bayern" versteht sich als Beitrag zum Reformationsjahr 2017 und wird von einer Jahresausstellung im Fränkischen Freilandmuseum Bad Windsheim ergänzt. Damit soll der "immense Schatz" gehoben werden, den die Pfarrhäuser für die Ausübung des Pfarrberufs bedeuteten, wie die Herausgeber Hans-Peter Hübner, Herbert May und Klaus Raschzok im Vorwort erklären.
Pfarrhäuser als Inbegriff des frommen Familienlebens
Insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert hatte die Pfarrfamilie in den Gemeinden eine Vorbildfunktion. Der Pfarrer predigte am Sonntag und unterrichtete die Kinder, seine Ehefrau regelte Kinder, Haushalt und am besten auch noch das Gemeindeleben. Die Glaubwürdigkeit der Familie hing mit ihrer Lebensführung zusammen – das Pfarrhaus wurde zum Inbegriff des frommen Familienlebens.
Pfarrhäuser haben aber eine viel längere Geschichte. Schon ab dem 12. Jahrhundert werden in Urkunden sogenannte "widem" erwähnt, mit denen ein Pfarrhaus oder ein Pfarrhof beschrieben wurde, der sich im Kirchenbesitz befand. In Bayern beginnt die Geschichte der evangelischen Pfarrhäuser im 18. Jahrhundert. Insbesondere in Mittelfranken haben sich viele dieser Gebäude erhalten.
Pfarrhöfe mit zentraler Position in der Dorfmitte
In Großhaslach bei Heilsbronn steht vor der Kirche ein Pfarrhof mit Pfarrscheune, Pfarrhaus und Stall. Die Hanglage und zentrale Position der Gebäude ist typisch für die Pfarrhäuser dieser Zeit. Im ländlichen Bereich wurden die Pfarrhöfe immer auch als landwirtschaftlicher Betrieb genutzt. Neben Stallungen und Scheune gab es Backöfen, Waschhäuser oder Badhäuser. Auch eine Gotteshausstiftung oder ein Schulgebäude waren häufig in der Nähe untergebracht.
Auffallend groß waren die Gärten der meisten Pfarrhäuser. Quellentexte und Dokumente des Bildbandes zeugen von der Vielfalt und Ausstattung: In Emskirchen gab es "zum Genuß Ein Bluem Gärtlein im Pfarrhof" sowie einen Küchengarten und einen Obstgarten. Die Gärten hatten weniger eine schmückende Funktion, sondern dienten der Versorgung der Pfarrfamilie und wurden vor fremdem Zugriff deshalb häufig mit einer soliden Mauer geschützt.
Regionale Traditionen prägen Pfarrhaus-Architektur
Einen eigenständigen Architekturtypus gibt es bei den bayerischen Pfarrhäusern nicht. Vielmehr folgte die Architektur regionalen Bau-Traditionen. Neben reich geschmückten Fachwerkhäusern finden sich in Bayern stattliche Wohnhäuser mit Walmdach und Jugendstilverzierungen bis hin zu nüchternen Gemeindehäusern der 1960er-Jahre.
Die ersten evangelischen Pfarrhäuser, die in Bayern nachgewiesen werden können, stammen aus dem 15. Jahrhundert. In Markt Erlbach steht noch das alte Pfarrhaus, dessen Fachwerk von 1443 stammt. In Roßtal ist ein Pfarrhaus von 1459 erhalten - mit prächtigem, mehrfach vorkragendem Fachwerkgiebel.
Im 17. Jahrhundert wurden in Bayern zahlreiche Pfarrhäuser errichtet. In Großgründlach ist beispielsweise ein 1669 errichtetes Pfarrhaus mit einem prächtig ockergelben Fachwerk erhalten geblieben. Neben dem kräftigen Farbanstrich wiesen viele Gebäude auch Inschriften vor.
Über "gute Stube" und das Studierzimmer
Auch das Innenleben der Pfarrhäuser verrät, wie sich die Anforderungen an die Häuser im Laufe der Jahrhunderte änderten. Die meisten Pfarrhäuser waren zweigeschossige Bauten. Im Erdgeschoss befanden sich Wohnraum und gute Stube, Küche, Lagerräume und Studierstube, im Obergeschoss eine weitere Stube sowie die Schlafräume der Familie.
Der Kachelofen bildete jahrhundertelang das zentrale Element eines jeden Pfarrhauses. Meist wurde nur die gute Stube geheizt. Erst zum Ende des 18. Jahrhunderts kam die Studierstube hinzu, in der gearbeitet, aber auch gespielt und geschlafen wurde: "Bin dieweil ins Herrn Schwaber Studierstüblein auf dem Lotterbettlein gelegen, ein wenig ausgeruht", notierte Pfarrer Thomas Wirsing 1595 in sein Tagebuch.
In Mittelfranken hat sich noch eine weitere Tradition erhalten: Dort gab es "Kabinettla", "Cavinetlein", kleine, mit Brettern abgetrennte Ecken, in denen sich ein Bücher- und Aktenregal befand oder ein kleiner Schreibtisch.
Großkarolinenfeld: Erste evangelische Gemeinde in Oberbayern
Mit der bürgerlichen Gleichstellung der evangelischen Christen in Bayern nach 1800 begann auch der Ausbau der kirchlichen Strukturen und Gebäude. Die 1802 eingeführte Schulpflicht führte zu einem Mangel an Räumlichkeiten, weshalb vielerorts "Schullokale" in den Pfarrhäusern eingerichtet wurden.
1802 entstand in Großkarolinenfeld die erste evangelische Kirche Bayerns. Zunächst wurde der Pfarrsaal für Gottesdienste und Unterricht genutzt, bis Kurfürstin Karoline, eine Prinzessin von Baden, die finanziellen Mittel für den Bau einer Kirche bereitstellte.
Der Architekt Gustav Vorherr (1778-1847) sorgte in Oberbayern für viele architektonische Impulse. Er veröffentlichte Idealentwürfe für Pfarrhäuser. Kirchen, Schul- und Pfarrhäuser sollten demnach "erste Gebäude eines Dorfes" sein, die sich "besonders durch Ordnung und Reinlichkeit auszeichnen, wenn das Schönheitsgefühl für das Einzelne und das Ganze gehörig geweckt werden soll". Mit diesen Vorstellungen von Reinlichkeit einher ging auch die Hygiene: Nun wurden viele Pfarrhäuser mit "geruchlosen Abtritten" versehen – Fässer mit einem Filtersystem, die heute jeder Ökotoilette Konkurrenz machen könnten. Gewaschen und gebadet wurde einmal in der Woche.
Ab dem 19. Jahrhundert: Pfarrhäuser mit Zentralheizung
Auch der Wohnkomfort nahm kontinuierlich zu. In den Pfarrhäusern im "modernen" oder "bürgerlichen Styl" sollten möglichst alle Räume beheizt werden können. Der in der Residenzstadt München vorherrschende Baustil sollte nun auch in der "Provinz" stilbildend übertragen werden. Die großzügigen Pfarrhäuser des 19. Jahrhunderts hatten neben den üblichen Wohn- und Schlafräumen auch Vikariatszimmer, Dienstbotenkammern, Gästezimmer sowie Stauräume für die Akten.
Ab dem frühen 20. Jahrhundert kam noch ein weiterer Raum hinzu: Das Konfirmandenzimmer diente als Unterrichtsraum für die Mädchen und Jungen in der Gemeinde. Der Architekt Cornelius Gurlitt resümierte 1906: "Der Pfarrer und der Lehrer sollen keine Bauern sein; sei sollen aber auch keine Städter sein. Sie sollen das Leben ihrer Gemeinde mitleben, ohne sich in ihm geistig zu verlieren. So auch soll das Pfarrhaus in das Dorf passen, aber nicht Dorhaus und ebensowenig ‚Villa‘ sein."
NS-Ideologie in der Pfarrhaus-Architektur
Nach 1933 folgen viele Neubauten für Pfarrhäuser der nationalsozialistischen Ideologie. Pfarrhäuser sollen "Symbol der Heimat" sein und das "Volk in seiner höheren volkhaften Artung" ansprechen, wie Gottlieb Schwemmer 1937 formulierte. Die Pfarrhäuser bekommen historisierende Züge und sollen der "germanischen Bauweise folgen".
In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ging es zunächst vor allem darum, bestehende Gebäude zu reparieren oder Neubauten zu errichten. Mit dem Notkirchenprogramm des Hilfswerks der Evangelischen Kirchen in Deutschland wurden ab 1949 einfache Holzkirchen errichtet. Der Archiekt Otto Bartning entwickelte verschiedene Bautypen, die neben der Kirche auch Gemeindezentren vorsahen und aus denen einfache Pfarrhäuser entwickelt wurden.
Pfarrhäuser verschwinden aus der städtischen Architektur
Die meisten Pfarrhäuser der Nachkriegszeit sind klein und fügen sich die Architektur ihrer Umgebung ein. In den Städten entstanden Neubauten, die neben einer Pfarrwohnung auch Raum bieten sollten für weitere Familien. Faktisch verschwinden die Pfarrhäuser damit aus dem für alle sichtbaren Stadtbild.
In den letzten Jahren änderte sich vor allem das Bild des Pfarrberufs. Pfarrhäuser sollen heute zwischen öffentlicher Präsenz und privatem Lebensraum unterscheiden. Viele Kirchengemeinden bevorzugen es heute, Wohnungen anzumieten, um damit flexibler auf die jeweilige Familiensituation des Pfarrers oder der Pfarrerin reagieren zu können.
Buch-Tipp
Hans-Peter Hübner (Herausgeber), Herbert May (Herausgeber), Klaus Raschzok (Herausgeber), Gerhard Hagen (Fotograf):
Evangelische Pfarrhäuser in Bayern
Reformation und Entstehung des evangelischen Pfarrhauses sind eng miteinander verknüpft. Der Band bietet erstmals einen umfassenden Einblick in die Geschichte dieser Pfarrhäuser nicht nur als Lebensorte des evangelischen Glaubens, sondern als von der christlichen Praxis geprägte Bauwerke.
Verlag: Franz Schiermeier
ISBN 978-3943866520