Die Schnecken waren schuld. Als die Landgräfin von Lupfen im badischen Stühlingen mitten in der Erntezeit ihren Leibeigenen befahl, die Gehäuse der schleimigen Tiere einzusammeln, verweigerten sich die Bauern. Es gab Wichtigeres zu tun, als Schneckenhäuser zusammenzutragen, nur, damit die Hofdamen ihr Garn darauf aufwickeln konnten. Im Juni 1524, am Tag der Sommersonnenwende, erhoben sie sich gegen ihre Herrschaft. Gleichgesinnte aus den umliegenden Gemeinden schlossen sich bald an. Der Bauernkrieg hatte begonnen. Fast ein ganzes Jahr lang – Herbst, Winter, Frühling und Sommer – sollte damals der Traum von einer brüderlichen und gerechteren Welt das Geschehen in der Mitte Europas bestimmen.

Zum Jubiläum, 500 Jahre nach der blutigen Niederschlagung des Aufstands, hat die in Oxford lehrende australische Historikerin Lyndal Roper nun ihr detailreiches, ganz der angelsächsischen Wissensvermittlungs-Tradition verpflichtetes Werk "Für die Freiheit" veröffentlicht, in dem sie mit großer Überzeugungskraft die Welt nachzeichnet, in der die Bauern gelebt und sich bewegt haben.

Bauernkrieg 1525 - Buch von Lyndal Roper

Der Aufstand, der am Ende 70.000 bis 100.000 Bauern das Leben kosten sollte, lasse sich nicht allein aus den ökonomischen Bedingungen der Zeit erklären, meint Roper: "Es war ein Aufstand gegen das gesamte Herrschaftssystem, das ‚gegen Christus‘ gerichtet war, gegen Frondienste, Leibeigenschaft, Zwangsabgaben." Für die Aufständischen war die Reformation kein Deckmantel, sie wirkte unmittelbar, sozial radikal und zielte darauf, die Gesellschaft zu verändern.

1520 erscheint Luthers Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen". Allein bis 1525 sind mindestens 19 weitere Auflagen und Drucke der explosiven Schrift bekannt. Die theologische Grundaussage, dass der Einzelne nur vor Gott Rechenschaft schuldig ist, manifestiert sich für die Bauern in der Forderung, auch für Laien Messwein bei der Kommunion auszuschenken. Auch wenn Luther sich schnell von den Bauern und ihren Zielen distanziert, entfaltet die Idee der Gleichheit und Brüderlichkeit eine ungeheure Wirkungsmacht. Die Freiheitsidee schwappt wie ein Tsunami aus einer abstrakten theologischen Welt hinüber in die Welt der konkreten Erfahrung. Und mit ihr die befreiende Erkenntnis, dass die Macht von Adel und Klerus nicht gottgegeben ist.

Gerüstet mit diesem geistigen Aufputschmittel erheben sich bald weitere Bauernhaufen und schreiben eine große Zahl von individuellen Beschwerden und Forderungen an ihre lokalen Herrschaften. Die Memminger Zwölf Artikel vom März 1525 können als ein Substrat dessen gelesen werden, was die Bauern umtreibt. Der Text formuliert eine für seine Zeit revolutionäre gesellschaftliche Vision, gespeist aus radikalen reformatorischen Ideen und wird zu einem Manifest einer Massenbewegung.

Bauernkrieg als Massenbewegung

Drei Monate lang kontrollieren die Bauern im Frühjahr 1525 ein Gebiet, das große Teile des heutigen Deutschlands umfasst. Sie verlieren, weil ihnen die militärische Übung und Organisationsstruktur fehlt und sie ihren berittenen Gegnern kampf- und waffentechnisch unterlegen sind. Auf den Schlachtfeldern stirbt auch die Vision einer neuen Gesellschaft. Die Leibeigenschaft bleibt erhalten und auch den Zehnt müssen die Untertanen weiter bezahlen.

Auf ihrer Zeitreise zu den Bauern der Jahre 1524/25 zeigt Lyndal Roper, wie sich die Vision der Aufständischen aus einer Theologie der Schöpfung entwickelt hat, in der Beziehungen zwischen Menschen auf Redlichkeit beruhten, nicht auf Gier und Geiz.

"Die Menschen waren wütend darüber, dass die Grundherren das Eigentum an den natürlichen Ressourcen, dem Wasser, dem Gemeindeland, den Wäldern und Forsten für sich beanspruchten, obwohl diese zu Gottes Schöpfung und damit allen Menschen gehörten", schreibt sie. Und berührt damit Fragen, die heute genauso aktuell sind wie damals: Wem gehören die natürlichen Ressourcen? Wer kontrolliert die Energiequellen? Wie gehen wir nachhaltig mit der begrenzten Ressource Boden um?

Lyndal Roper: Der Bauernkrieg 1525

Für die Freiheit

Lyndal Roper: Für die Freiheit - Der Bauernkrieg 1525

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024
ISBN 9783103974751
Gebunden, 676 Seiten, 36,00 EUR

 

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