Mit einer umfassenden Werkschau will das Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen dem weithin in Vergessenheit geratenen Münchner Expressionisten Josef Scharl (1896-1954) eine Bühne bereiten. Auf drei Etagen zeigt das Haus fast 50 Gemälde aus allen Schaffensphasen, in denen er sich meist dem »kleinen Mann« zugewandt hat. »Wie Paula Modersohn-Becker denkt er vom Menschen her und zeigt das in großen Bildern«, sagt Museumsdirektor und Kurator Frank Schmidt.
Unter dem Titel »Josef Scharl. Zwischen den Zeiten« ist die Ausstellung in Bremen noch bis zum 3. Juni zu sehen. Danach wird sie im Hamburger Ernst-Barlach-Haus gezeigt. 2019 ist die Schau dann auch in Scharls bayerischer Heimat zu sehen – im Buchheim-Museum am Starnberger See.
Josef Scharl zählt für Kurator Schmidt zu den bedeutenden Künstlern der 1920er- und frühen 30er-Jahre in Deutschland. Als Grenzgänger zwischen Expressionismus und Neuer Sachlichkeit habe er ein Werk geschaffen, das die politischen und sozialen Verwerfungen der Moderne eindringlich widerspiegele. Traumatisiert von den Erlebnissen des Ersten Weltkriegs habe er der zerrissenen Gesellschaft der »Goldenen Zwanziger« ein Gesicht gegeben.
Hitler als Rausschmeißer
Viele der Leihgaben stammen aus der Kunsthalle Emden, die in Deutschland über die größte Scharl-Sammlung verfügt. So auch das Bild »Blinder Bettler im Café« aus dem Jahr 1927, das Schmidt zu Scharls Hauptwerken zählt. Auf der großformatigen Leinwand lässt der Künstler in exakter Komposition neben van Gogh und Gauguin auch Stresemann, Lenin und Hitler auftreten – Hitler als Kellner, der bettelnde Künstler des Cafés verweist.
Inspiriert von van Goghs Malerei verbinden sich in seinen Porträts, Figurenbildern und Landschaften Kritik mit Empathie, Nüchternheit mit Pathos und Kargheit mit einem Hang zum Ornamentalen. Überhaupt hat man dem Münchner Bäckerssohn, der 13 Geschwister hatte, gelegentlich fehlende Originalität vorgeworfen. Seine Bilder in der Ausstellung lassen sofort erkennen, wer ihn zu unterschiedlichen Zeiten beeinflusste: Otto Dix, George Grosz, Emil Nolde, aber auch James Ensor, Pablo Picasso oder Matisse. Aber immer ergreifen seine Bilder Partei für die Menschlichkeit, für Arme und Misshandelte.
Mittellos und vergessen im Exil gestorben
Als Soldat im Ersten Weltkrieg schwer verwundet, begegnete er dem mit Hitlers Aufstieg wachsenden Militarismus mit Abscheu. »Seine Bilder von Zerstörung, Trauer und Armut weisen nahezu prophetisch auf den Zweiten Weltkrieg hin«, sagte Schmidt.
Im Jahr von Hitlers Machtübernahme 1933 entstehen »Brennende Sterne«: Ein abstraktes Motiv, in dem Scharl Farben und Formen gegeneinander kämpfen lässt – symbolisch für die damalige Zeit. Während er sich mit Armen und Opfern in Bildern wie »Drei trauernde Frauen« (1933) solidarisch zeigt, stellt er Funktionäre und Verantwortliche maskenhaft und seelenlos dar.
1935 wird er mit einem Ausstellungsverbot belegt, die Nazis sehen in seiner Arbeit entartete Kunst. 1938 schließlich emigriert er ohne Frau und Kind in die USA, wo er 1954 in New York nahezu mittellos stirbt. Sein langjähriger und enger Freund Albert Einstein, den er mehrfach porträtiert hat, schreibt über ihn in einer Totenrede: »Alles an ihm war echt, ursprünglich und unverdorben. Nie war er einem schwächlichen Kompromiss zugänglich, weder als Künstler noch als Mensch.«
Ausstellung »Josef Scharl. Zwischen den Zeiten« bis 3. Juni in Bremen. Vom 25. Mai bis 15. September 2019 wird die Schau im Buchheim-Museum Bernried am Starnberger See zu sehen sein. Internet: www.museen-boettcherstrasse.de